Himmelssturz
sich Svetlana in sein Quartier quetschen konnte. »Könnte ich deswegen Schwierigkeiten bekommen?«
»Du hast schon längst Schwierigkeiten. Ich glaube, auf ein paar mehr oder weniger kommt es jetzt nicht mehr an.«
»Hat Bella dir erlaubt, die medizinische Abteilung zu verlassen?«
»Frag lieber nicht. Was ist mit dem Schiff los? Hat Bella angeordnet, dass wir langsamer fliegen sollen?«
»Ja«, sagte Parry nur.
Sie gönnte sich einen kurzen Moment des Triumphs. Bellas Zweifel würden sich erdrutschartig verstärken, nachdem bereits die ersten Steinchen rollten.
»Hat sie im Schiffsnetz irgendetwas darüber gesagt?«
»Beim nächsten Schichtwechsel will sie eine Ankündigung machen, wenn sich nichts an der Situation ändert.«
»Sie kennt die Situation, Parry. Daran wird sich nichts ändern. Sie können uns nicht verarschen.«
»Vielleicht reden wir beide nicht über dieselbe Situation. Es gab eine neue Entwicklung. Bislang wissen nur die Abteilungsleiter davon.«
Ihre Begeisterung verpuffte schlagartig. »Was für eine Entwicklung?«
»Es sieht so aus, dass wir vielleicht doch genug Treibstoff haben.«
»Nein«, sagte sie mit Nachdruck. »Ich weiß, dass ich recht habe. Nur weil ich es Bella nicht zur ihrer Zufriedenheit beweisen kann … mein Gott, Parry! Du weißt auch, dass ich recht habe!«
»Ich glaube dir – aber das spielt jetzt vielleicht keine Rolle mehr.«
»Natürlich spielt es eine Rolle!«, sagte sie und bereute es im nächsten Moment. Denn Parry Boyce war der einzige Mensch, mit dem sie keinen Streit anfangen sollte. Sie mäßigte ihren Ton und sagte: »Warum? Was hat sich geändert?«
»Janus«, sagte Parry.
»Großartig. Erzähl mir mehr.«
»Wir haben ihn in den vergangenen drei Tagen mit einem Laser bestrahlt, einem optischen Laser mit geringer Energie, nichts, was man als feindselige Handlung interpretieren könnte.«
»Davon weiß ich«, sagte sie und erinnerte sich, dass sie in Saul Regis’ Arbeitsgruppe darüber diskutiert hatten, ob so etwas ratsam wäre. »Teils, um die Oberflächendetails zu kartieren, teils, um den Abstand exakter messen und unseren Kurs anpassen zu können. Was ist passiert?«
»Janus … nun, er wird nicht gerade langsamer, aber er reduziert seine Beschleunigung. Es ist, als hätte er bemerkt, dass wir ihn einzuholen versuchen, und würde es uns jetzt etwas leichter machen.«
Sie fand die Neuigkeit gleichzeitig faszinierend und besorgniserregend. »Warum hält er auf einmal inne, nachdem er die ganze Zeit auf der Flucht war? Du kannst mir nicht erzählen, dass es nur daran liegt, dass er uns bemerkt hat.«
»Aber vielleicht ist genau das passiert.«
»Das glaube ich nicht«, sagte sie. »Es gibt einen Haken. Es gibt immer einen Haken.«
»Ich wüsste nicht, warum es einen geben sollte. Nehmen wir mal an, dass er das Sonnensystem verlassen will, aus irgendeinem Grund, weil er einen Befehl von Spica empfangen hat oder etwas in der Art. Er kann den Flug nicht stoppen, aber ihn zumindest ein wenig verzögern, damit wir einen besseren Blick haben. Eine Gelegenheit, auf Wiedersehen zu sagen.«
Parry hielt inne. Offenbar war ihrem Gesichtsausdruck anzusehen, dass sie ganz und gar nicht von dieser Theorie überzeugt war. »Wenn Janus nicht mehr beschleunigt, müssen wir es auch nicht mehr tun. Jedes Gramm Treibstoff, dass wir während der Beobachtungsphase nicht verbrennen müssen, ist ein Gramm, das wir für den Rückflug nutzen können.«
»Die Mistkerle können nicht gewusst haben, dass so etwas geschehen würde«, sagte Svetlana energisch. »Trotzdem wird es verdammt knapp werden.«
»Es mag sein, dass du jetzt nicht mehr beweisen kannst, dass du recht hattest«, sagte Parry, »zumindest nicht, bis wir wieder zu Hause sind. Aber lass dir dadurch nicht den Blick auf die guten Seiten verstellen. Janus hat uns nicht angegriffen oder uns einen Schuss vor den Bug gesetzt oder den Versuch unternommen, uns abzuschütteln. Er will sich mit uns treffen. Willst du es nicht sehen?«
»Ich sehe etwas«, sagte Svetlana. »Ich bin mir nur noch nicht sicher, was es ist.«
Eine Minute lang sagten sie gar nichts, dann ließ sich Svetlana von Parry in die Arme nehmen, und sie genoss es, dass sie sich gegenseitig hielten. Sie küssten sich, dann klopfte jemand gegen die Plastiktür. Ein dreifaches, energisches Pochen, wie ein Polizist an einer Haustür.
Eine gedämpfte Stimme drang von außen durch den Kunststoff. »Parry. Ich bin es, Bella. Ich vermute, du
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