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Himmelssucher - Roman

Himmelssucher - Roman

Titel: Himmelssucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carl's books Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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sehr liebevoll mit ihm um.«
    Sie sah aus dem Fenster. Sunil und Vater schienen eine hitzige Diskussion zu führen. Vater machte einen alles andere als erfreuten Eindruck.
    »Worüber reden die beiden bloß?«, murmelte Mutter. »Hoffentlich sagt dein Vater nichts, was wir alle bereuen werden.« Plötzlich war sie beunruhigt. »Erwähne unter keinen Umständen Nathan. Unter keinen Umständen. Sein Name darf nicht erwähnt werden. Ihre Eltern wissen nichts über ihn. Und Sunil auch nicht …«
    »Das hast du mir schon mal gesagt«, sagte ich.
    In diesem Augenblick flog die Terrassentür auf. Es war Vater.
    »Was für eine Null!«, schäumte er.
    »Naveed! Ich habe dich gebeten, nachsichtig mit ihm zu sein. Bitte .«
    »Nachsicht zu zeigen ist eine Sache. Von ihm beschimpft zu werden eine andere.«
    »Beschimpft zu werden?«, sagte Mutter lächelnd. »Wie soll das möglich sein?«
    Vater warf ihr einen eindringlichen Blick zu. »Wenn du auf Streit aus bist, Muneer … dann glaub mir, den kannst du haben.«
    »Ich habe dich nur danach gefragt, was er dir gesagt hat.«
    »Wenn du wüsstest, was er wirklich von dir hält, würdest du nicht mehr so freundlich zu diesem Idioten sein.«
    »Was hat er über mich gesagt?«
    »Dass ich dich nicht in Zaum halte. Dass ich ein schlechtes Beispiel abgebe. Dass er Mina den Umgang mit dir untersagt, wenn du ihr weiterhin solche Flausen in den Kopf setzt.«
    »Was?«
    »Willst du immer noch, dass ich diesem Idioten gegenüber nachsichtig bin?«
    Mutter sah zum Fenster. Sunil näherte sich dem Haus.
    »Er kommt«, sagte sie.
    »Dann gehe ich«, sagte Vater und verschwand.
    Die Terrassentür wurde geöffnet, diesmal sehr viel sanfter, und Sunil trat mit Imran an der Hand ein. »Wo ist Naveed?«, fragte er in seinem gewohnt salbungsvollen Tonfall. Angesichts Vaters Laune überraschte es mich, dass Sunil so ruhig war.
    »Er ist fort …«, erwiderte Mutter und zögerte, bevor sie hinzufügte: »Zum Einkaufen.«
    Sunil lächelte. Mutter erwiderte schwach das Lächeln und kaute auf der Innenseite der Wange.
    »Gibt es etwas, was du mit mir besprechen möchtest, Bhai-Jaan ?«, fragte sie.
    »Besprechen? Waaas denn, Bhaaji ?«
    »Was dir auf der Seele liegt? Über mich vielleicht?«
    »Nein, nein«, antwortete er lächelnd. »Aber wenn du irgendetwas mit miiir besprechen willst, dann lass es mich biiitte wissen. Du bist ihr wiiie eine Schwester. Also bist du auch miiir wie eine Schwester. Ich habe sonst keeeine Geschwister.«
    Mutter schien nicht im Geringsten beschwichtigt. »Ich bin ihr eine Schwester, Sunil«, verkündete sie. »Eine Schwester im Geiste . Das ist stärker als Blut.«
    »Sicher, sicher«, stimmte er ihr mit wackelndem Kopf zu.
    Mutter stierte ihn an. »Vergiss das nicht«, sagte sie warnend.
    »Vergessen?«, fragte Sunil zwinkernd. »Wie sollte ich das jeeemals vergessen? «
    Minas Vater war hellauf begeistert, in Amerika zu sein. Jeden Morgen machte er sich zu langen Spaziergängen auf. Er besuchte die Post, den Lebensmittelladen, das Rathaus, die Bibliothek, die High School in unserem Viertel. Zum Frühstück aß er im örtlichen Diner Pfannkuchen – amerikanische Parathas, wie er sie nannte –, überquerte dann die Straße zur Mall, um stundenlang durch die Geschäfte zu bummeln. »Alles ist so groß «, bemerkte er immer wieder. »Die Straßen, die Autos, die Bäume, die Häuser, die Menschen. Sogar die Kinder sind riesig. Mir sind ein paar Jungs begegnet, deren Arme waren dicker als meine Beine. Aus der Ferne habe ich gedacht, es wären Männer. Aber aus der Nähe habe ich gesehen, dass sie richtige Milchgesichter waren. Ich habe einen gefragt, wie alt er ist. ›Sechzehn‹, hat er gesagt. Sechzehn! Und schon so groß wie ein Ungeheuer!« Amerikas Größe beeindruckte ihn, ebenso die Sauberkeit. Eines Abends beim Essen sagte er: »Nirgends liegt Müll herum. Kein Staub. Die Straßen sind so sauber, dass man von ihnen essen könnte. Wie machen sie das bloß?«
    »Sie kümmern sich eben darum«, erwiderte Vater schroff. Er ließ sich noch seltener als sonst zu Hause blicken. Es war klar, dass er Rafiq nicht mochte; ein Gefühl, das auf Gegenseitigkeit beruhte. »Anders als wir Pakistanis«, fügte Vater hinzu, »wissen die Amerikaner, wie man die Welt besser macht.«
    Rafiq ging auf Vaters Provokation nicht ein. Auch nicht am folgenden Abend, als er lebhaft davon berichtete, wie er am Nachmittag ein Beerdigungsinstitut aufgesucht und sich plötzlich in einem leeren

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