Himmelssucher - Roman
sie ihn verstand. »Nach … hinten … durchgehen!«, brüllte er verzweifelt. Aber die Leute achteten nicht auf ihn. Sie bildeten eine stetig wachsende Menge, die sich schnatternd scheinbar ziellos hin und her schob. Schließlich gab der junge Mann es auf und kehrte zu seinem Platz neben dem Podium des Empfangschefs zurück, wo er den Kopf in den Händen vergrub.
Hamza und ich gingen auf dem Bürgersteig und vorbei an den Geschäften und Bars und Restaurants hinunter zum Seeufer. Die Abenddämmerung brach herein, und über uns erstreckte sich ein wolkengepeitschter, dunkler Himmel, aber die warmen gelben Lichter in den Fenstern und die gedämpften Klänge der beim Essen sitzenden Gäste vermittelten ein einladendes Bild. Eine blonde Frau fiel mir auf, die es sehr eilig hatte und Hamza und mich überholte. Sie trug einen dünnen, schwarzen Mantel, den sie mit einer Hand – sie hatte leuchtend rote Fingernägel – am Revers zusammenhielt. Und sie verströmte einen schwachen Fliederduft, der mir irgendwie bekannt vorkam. Vor einem der Restaurants blieb sie stehen, und als sie sich umdrehte und die Tür öffnete, sah ich, dass ich ihr Gesicht kannte. Ich wusste nur nicht, woher.
Sie verschwand im Restaurant.
»Ist dir kalt?«, fragte Hamza.
Es war kühl, aber ich trug einen dicken Sweater. Ich schüttelte den Kopf. Wir gingen weiter, kamen dann am Fenster des Restaurants vorbei, in dem die Frau verschwunden war. Ich spähte hinein, konnte sie aber nicht finden.
»Also, was hat es mit diesem Traum auf sich? Hast du wirklich den Propheten gesehen?«
»Friede sei mit ihm«, fügte ich hinzu.
»Genau. Friede sei mit ihm.«
»Ich habe geträumt, dass er mich vor einer Verrückten rettet, die mir nachgejagt ist. Er hat mich in eine Moschee gebracht, und dort haben wir gemeinsam das Gebet angeführt.«
»Du hast mit dem Propheten das Gebet angeführt? Wow, das ist cool … Ich habe gehört, wenn einem der Prophet im Traum erscheint, kommt man in den Himmel.«
Das Gespräch steigerte mein Unbehagen nur noch. Mehr als jemals zuvor wollte ich, dass der Traum genau das bedeutete, was Hamza sagte. Aber ich wusste, dass dem nicht so war.
Wir gingen weiter und näherten uns dem Ufergeländer. »Also, wie sieht er aus?«
»Wer?«
»Wer schon? Der Prophet.«
Ich wartete.
»Tut mir leid«, sagte Hamza. »Friede sei mit ihm.«
»Ich weiß nicht. Irgendwie gut.« Dann fügte ich hinzu. »Er hat eine Lücke zwischen den Schneidezähnen.«
»Ich wette, er war richtig hart drauf «, sagte Hamza und nickte. »Das sagt mein Dad immer. Wenn der Prophet noch da wäre, würden wir das Sagen haben. Wie Bo Svenson in Walking Tall . Die Serie schon mal gesehen?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Er ist der Sheriff, und er muss nur einen Holzprügel in die Hand nehmen, und alle hören auf ihn. Mein Dad sagt, würde der Prophet heute noch leben – tut mir leid, Friede sei mit ihm –, dann hätten wir mit Israel keine Probleme. Er sagt, Palästinenser sind wie Babys, sie brauchen immer jemanden, der sich um sie kümmert. Der Prophet würde es niemals – tut mir leid, Friede sei mit ihm –, der Prophet würde es niemals zulassen, dass ihn irgendjemand so behandelt. Er hätte Israel schon längst erobert, wenn er noch hier wäre.«
Ich bekam mit, was er sagte, aber ich hörte ihm nicht richtig zu. Wir sahen jetzt auf den See hinaus. Die Wasseroberfläche hob und senkte sich sacht wie ein langsamer, gleichmäßiger Atem. Es war schön.
»Ziemlich cool«, sagte Hamza. »Dieser See. Sieht für mich aus wie das Meer.«
»Ja.«
»Ist dir kalt?«, fragte er.
»Ein bisschen.«
»Wir sollten zurück. Mein Dad wird ziemlich stinkig, wenn ich zu lange weg bin.«
»Einen Moment«, sagte ich, als ich mich vom Geländer löste. »Stimmt es, was er gesagt hat? Dass man seinen Pimmel einem Mädchen in den Mund stecken kann?«
Hamza nickte. »Klingt abgefahren, was? Aber noch abgefahrener ist, dass manche Typen ihren Mund in den Schlitz des Mädchens stecken. Sie stecken ihre Zunge rein.«
»Sie machen was ?«
»Hab ich in einer Zeitschrift gesehen.«
Ich schüttelte den Kopf. Ich wollte davon nichts mehr hören.
Wir gingen zurück, und als wir uns wieder dem Restaurant näherten, in dem die blonde Frau mit dem Mantel verschwunden war, blieb ich vor dem Fenster stehen und sah hinein. Und jetzt entdeckte ich sie. Sie stand an der Bar, und hinter ihr saß ein Mann auf einem Hocker und hatte ihr den Arm um die Taille gelegt.
Ich brauchte
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