Himmelssucher - Roman
Mina, ihre Atmung normalisierte sich, und es ging ihr besser. Lächelnd ließ sie sich von den Frauen ankleiden, und lächelnd wartete sie mit den anderen, als es an der Tür klopfte und Najat meine Mutter bat, die Tür erst zu öffnen, wenn sie wieder unter ihrer Burka verschwunden war. Vor der Tür stand der hagere, ganz in Grau gekleidete Ghaleb Chatha mit seinen Kadaveraugen.
»Ist sie schon fertig?«, fragte er.
»Sie braucht noch ein paar Minuten«, erwiderte Mutter.
»Nein, Bhaj «, sagte Mina mit träger Stimme von der Couch. »Ich bin fertig.«
»Lass dir Zeit«, sagte Chatha. »Ich wollte nur Bescheid geben, dass Adnan bereit ist für die Nikah. Wir brauchen ja auch noch die Zeugen.«
»Danke, Bhai-Jaan «, erwiderte Mina in leierndem Tonfall.
Chatha starrte sie an, als wittere er etwas. »Alles in Ordnung?«, fragte er.
»Alles bestens, Ghaleb«, sagte Najat. »Wir kommen gleich.«
Eine Viertelstunde später fand im Zimmer 1058 die kurze, formlose Nikah statt. Die Beteiligten versammelten sich auf der Couch und den beiden Lehnstühlen, dazwischen stand ein niedriger Tisch mit weißer Decke, auf dem der Vertrag, zwei Stifte sowie der Koran lagen. Imam Souhef saß auf einem Stuhl vor dem Tisch, auf der Couch daneben Sunil, der Imran auf den Knien hatte. Mina saß ihnen gegenüber auf dem zweiten Lehnstuhl. Statt eines Hidschabtrug sie einen weißen Seidentschador, der den ganzen Körper bedeckte und nur Gesicht und Hände freiließ. Vorgeschrieben waren zwei Zeugen, da aber Ghaleb der einzige männliche Zeuge war, bedurfte es laut islamischem Recht zweier weiblicher Zeugen, um den fehlenden männlichen Zeugen auszugleichen. Daher drängten sich Mutter und Najat hinter die Couch. Hinter Souhef stand Rafiq, der alles nervös beobachtete, und neben ihm weinte Rabia leise in ein Taschentuch.
Imam Souhef leitete die Trauung ein, indem er die geöffneten Handflächen vor sich hielt und den kurzen arabischen Text rezitierte, die Nikah Chutbah, die traditionelle islamische Ansprache, die er in diesem Fall einer Gruppe von Pakistani vortrug, die zwar mit gesenkten Köpfen lauschten, von denen aber keiner den arabischen Text verstand. Daraufhin wandte sich Souhef an Rafiq.
»Da es die zweite Heirat deiner Tochter ist, bin ich nach der Scharia nicht verpflichtet, dich um deine Erlaubnis zu fragen, deine Tochter Amina Ali mit diesem Mann, Sunil Chatha, zu verheiraten.«
Rafiq nickte. Souhef wandte sich an Sunil.
»Hast du den Mahr mitgebracht?«
»Ja, Imam.«
Sunil zog einen dicken, ziegelförmigen Umschlag aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch, wo ihn alle sehen konnten. Der Umschlag war nicht verschlossen, durch die offene Lasche war zu erkennen, dass er mit Hundert-Dollar-Scheinen gefüllt war.
Souhef wandte sich an Mina. »Bist du zufrieden mit deiner Wahl?« Das war das Stichwort für Mina, Sunil mit der arabischen Formel anzusprechen, die sie schon sechs Jahre zuvor bei ihrem ersten Ehemann Hamed gebraucht hatte.
» An Kah’tu nafsaka a’lal mah’ril ma’loom «, sagte sie und verschliff dabei leicht die Worte.
Souhef sah zu Sunil, was diesen dazu veranlasste, die Formel des Bräutigams und dessen Antwort auf die Braut zu sprechen:
» Qabiltun nakaha .«
Souhef nickte. Er griff sich die beiden Stifte und hielt sie Sunil und Mina hin. »In Anwesenheit der Zeugen hat sich die Braut der Ehe übergeben und den Mahrangenommen, und der Bräutigam hat die Braut angenommen. Unterzeichnet bitte den Vertrag.«
Sunil kritzelte seinen Namen unten auf das Papier, das er daraufhin über den Tisch Mina zuschob. Sie ließ sich etwas Zeit, bevor sie ihren Namen – in geschwungener Schrift – unter seinen setzte.
»Ihr seid jetzt Mann und Frau«, sagte Souhef und erhob sich. »Wir werden dem frisch verheirateten Paar nun einen kurzen Augenblick des Alleinseins gestatten.«
Damit stellte Sunil Imran ab und erhob sich. Er streckte Mina die Hand entgegen, worauf sie aufstand und sich von ihm ins Schlafzimmer führen ließ.
Imran quengelte, als sie fortgingen. Sunil blieb an der Tür stehen und ermahnte seinen neuen Sohn in aller Strenge: »Lass deine Mutter und deinen Vater kurz allein sein, Behta .«
»Okay, Dad«, erwiderte Imran leise.
Nachdem sie fort waren, nahm Rafiq neben seinem Enkelsohn auf der Couch Platz. Der Umschlag mit dem Geld – insgesamt fünfundzwanzigtausend Dollar – lag immer noch auf dem Tisch. Er stopfte ihn sich in seine Manteltasche, sah dann zu Ghaleb, der ihn keine
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