Himmelssucher - Roman
Warum bloß? Mein Gott!« Ihr Blick ging zur Decke, als hoffte sie, von dort eine Antwort des Allmächtigen zu erhalten. Kopfschüttelnd fuhr sie fort: »Deine Tante sagt immer, wie gut er zu Imran ist. Dass er ihn wie einen eigenen Sohn angenommen hat. Aber wie glücklich kann der Junge sein, wenn er mitbekommt, wie seine Mutter vom Vater geschlagen wird? Wie glücklich kann er denn sein? Behta , ich habe bei diesem Umzug nach Kansas ein ganz schreckliches Gefühl. Dort ist er schon mal von einer Frau verlassen worden. Gott allein weiß, warum. Ich meine, wer weiß schon, ob er sie nicht auch verprügelt hat? Muslimische Frauen sind schließlich nicht mit weißen Frauen zu vergleichen. Die laufen nicht einfach so weg.«
Mutters Intuition bei Sunils erster Frau hatte sie nicht getrogen.
Nach ihrer Ankunft in Kansas City erhielt Mina an einem Nachmittag Besuch von einer Freundin von Sunils erster Ehefrau. Die Frau – eine Pakistani – kam vorbei, als sie wusste, dass Sunil nicht zu Hause war, und erzählte der neuen Ehefrau davon, was geschehen war. Die erste Frau hatte ihn tatsächlich wegen seiner Gewalttätigkeit verlassen. Sunils häusliche Gewalt war darüberhinaus so gut dokumentiert, dass das Gericht ihm das Sorgerecht für seinen Sohn entzogen hatte. Das war natürlich nicht die Geschichte, die Sunil Mina aufgetischt hatte. Laut seiner Aussage hatte der amerikanische Lebensstil aus seiner Frau eine sexbesessene Irre gemacht, und ihr Gewissen kam nicht mehr mit einem gottesfürchtigen Mann wie ihm zurecht. Als Mutter davon erfuhr, schlug es ihr auf die Magenschleimhaut. Monatelang klagte sie sowohl über Sunil als auch über Magenschmerzen. Als dann schließlich bei ihr ein Magengeschwür diagnostiziert wurde, sagte sie bloß: »Dagegen kann ich wenigstens Medikamente nehmen. Aber welche Medikamente kann Mina gegen einen Mann nehmen, der ihr das Leben zur Hölle macht?«
In der ersten Zeit telefonierte Mutter noch täglich mit Mina und erfuhr bestürzende Einzelheiten über Sunils beängstigendes Verhalten. Wie von Mutter befürchtet, hatte die Rückkehr in die frühere Umgebung Sunil keineswegs gutgetan, sondern bei ihm die paranoide Angst geweckt, Mina könnte ihn ebenso verlassen wie seine erste Frau. Also ergriff er Vorsichtsmaßnahmen. Er zwang Mina dazu, statt des Hidschab einen den gesamten Körper verhüllenden Tschador zu tragen. Es war ihr untersagt, Männer anzusprechen, was sogar für die örtliche Moschee galt, die die Familie regelmäßig am Wochenende besuchte. Mina wehrte sich nicht, doch trotz ihrer Willfährigkeit wurde es mit Sunils Eifersucht immer schlimmer: Er verlor nun schon die Beherrschung, wenn Minas Blick nur zufällig auf den Autofahrer fiel, der neben ihnen an der Ampel angehalten hatte. Bei einer Gelegenheit eskalierte der Streit im Wagen so sehr, dass Sunil in seiner Raserei lauthals losbrüllte und ihr sagte – während er am Lenkrad riss und den Wagen kurzzeitig auf den betonierten Mittelstreifen des Highways zusteuerte –, bevor er sie an einen anderen Mann verliere, würde er sie alle drei umbringen.
Unentwegt bot Mutter Mina ihre Hilfe an, ebenso unentwegt äußerte Mina ihre Entschlossenheit, alles durchzustehen. Sie behauptete, Sunil schlage sie nicht mehr, und hatte immer eine Entschuldigung für ihn parat: Es laufe für ihn beruflich nicht gut. Es gestaltete sich schwieriger als erwartet, die Praxis in Kansas City wieder aufzubauen. Da er noch nie mit Finanzen hatte umgehen können, war das Anfangskapital schnell aufgezehrt, und er steuerte konsequent auf die Insolvenz zu.
Dann wurde Mina schwanger. Sie und Mutter hofften, die guten Neuigkeiten würden ihn milder stimmen. Das war nicht der Fall. Wenn überhaupt, wurde er durch Minas Schwangerschaft noch paranoider. Mina musste nun eine auch das Gesicht verhüllende Burka tragen. Sie durfte nicht mehr allein das Haus verlassen, noch nicht einmal mehr zum Einkaufen. Und er wollte, dass sie nicht mehr an die Tür kam, eine Verfügung, deren Einhaltung er überprüfte, indem er Freunde vorbeischickte, um zu sehen, ob sie auf deren Klingeln reagierte. »Er hat sie unter Hausarrest gestellt«, stöhnte Mutter, wenn sie nach dem Telefonat mit ihrer besten Freundin aufgelegt hatte. »Er macht sie kaputt.«
Mutter, vergiftet durch die irrsinnigen Wendungen in Minas Leben, wurde noch kranker. Sie hatte jetzt unablässig Magenschmerzen. Stundenlang hielt sie sich schmerzgekrümmt den Bauch. Vater mutmaßte ein weiteres
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