Himmelssucher - Roman
Wolkenschicht vor dem blauen Dach, das das dunkle All verdeckte, den weiten Raum, der, wie ich wusste, von glühenden Sternen und rotierenden Planeten bevölkert war und – laut unserem Naturkunde-Lehrbuch – zu einem sich immer weiter ausdehnenden Universum gehörte.
Plötzlich war ich von Ehrfurcht ergriffen, als ich an diese Unendlichkeit dachte. Und nicht nur an die Unendlichkeit des Universums, das ich hinter den Wolken nicht sehen konnte, sondern auch die der Welt um mich herum: die zahllosen Schulen und Bäume und Häuser und die Menschen, die zahllosen Kinder auf den Spielplätzen. Wie viele von ihnen dachten in diesem Moment – genau wie ich – an die endlosen Schulen und Häuser und Bäume und die unendlichen Sterne, die sich immer wieder aufs Neue auftaten …
Es war wahrscheinlich nicht das erste Mal, dass mir solche Gedanken Ehrfurcht einflößten, aber es war das erste Mal, dass ich ein Wort hatte, mit dem ich meine Gefühle beschreiben konnte, ein Wort, das ich aus dem Koran gelernt hatte:
Herrlichkeit.
Es ist alles die Herrlichkeit Gottes , dachte ich, als ich zurücktrabte und meinen Platz im Huddle einnahm.
»Ich rauche nicht, ich trinke nicht. Mein einziges Laster ist der Tee!«
Das hörte ich Mina oft sagen, aber immer mit einem verschmitzten Lächeln, so dass man ihr ihre Gewissensbisse nicht so recht abnahm. Tatsache war: Ihr Tee war phänomenal – kraftvoll, aber unaufdringlich, mit einem klaren, prägnanten Aroma, bei dem man sich sofort etwas gerader hinsetzte, und voller komplexer, subtiler Geschmacksnuancen, die sich erst im Mund entfalteten und, sobald sie verblassten, den Wunsch nach dem nächsten Schluck weckten. Es war das Ergebnis einer Zubereitung, die keinerlei Ähnlichkeit mit dem Eintunken eines Teebeutels in heißes Wasser aufwies, so wie es meine Eltern machten. Was Mina zubereitete, glich eher einem Eintopf: lose Teeblätter (Darjeeling oder Assam, dazu eine Prise Earl Grey oder Lady Grey, je nach Laune), eine zerriebene Kapsel Kardamom, eine oder zwei Gewürznelken, jeweils eine Messerspitze Zimt und gemahlenen Ingwer, eineinhalb Teelöffel Zucker, das alles in einem Topf mit halb Vollmilch, halb Wasser auf niedriger Hitze zum Kochen gebracht. Sie stand über ihrem Gebräu, rührte mit einem Holzlöffel und nahm jedes Mal den Topf von der Herdplatte, wenn es zu kochen begann. Sie wartete, bis der Tee eine ganz bestimmte Farbe aufwies – ein cremiges Dunkelbraun –, bevor sie die Herdplatte ausschaltete und die Flüssigkeit direkt in die bereits aufgereihten Tassen goss. Die ganze Küche war erfüllt von dem süßen Aroma, dem Duft nach Milch und Tee und Zucker und Gewürzen. Mir lief jedes Mal das Wasser im Mund zusammen.
Vater schmeckte ihr Tee so sehr, dass er von ihr lernen wollte, wie man ihn zubereitete. An einem Nachmittag stand er neben Mina am Herd, und sie leitete ihn durch die einzelnen Schritte. Als sie fertig waren, setzten sich Vater, Mutter und Mina an den Küchentisch und kosteten das Resultat.
»Hmmm. Er ist gut, Naveed«, sagte Mina.
»Nicht so gut wie der, den du machst«, beeilte sich Mutter anzufügen.
»Es war sein erstes Mal, Muneer.«
»Ob erstes oder letztes Mal, es interessiert mich nicht. Er ist einfach nicht so gut.«
Vater ging auf sie nicht ein.
»Zu viel Zimt«, sagte Mutter.
Prüfend nahm Mina einen Schluck. »Ich glaube nicht. Ich finde, es könnte sich alles ein wenig harmonischer verbinden. Vielleicht sollte man ihn in einen Topf umfüllen, damit er noch etwas ruhen kann, bevor man ihn trinkt.«
»Aber das machst du auch nicht«, warf Vater ein.
»Aber ich bin sehr achtsam beim Umrühren. Ich mache es ganz langsam.«
»Man muss achtsamer sein, ganz genau«, kam es von Mutter. Vater beachtete sie immer noch nicht und nahm einen weiteren Schluck. Mina wandte sich zu mir und bot mir ihre Tasse an.
»Willst du den Tee deines Vaters probieren, Behta ?«
Mutter hob die Hand. »Für ihn nicht.«
»Warum nicht?«, fragte ich.
»Du bist zu jung. Wenn du achtzehn bist, kannst du Tee und Kaffee trinken. Jetzt nicht.«
»Aber ich habe schon Tee getrunken.«
»Wann?«, fragte Mutter überrascht.
»Ich habe ihm welchen gegeben«, sagte Mina, bevor ich antworten konnte.
»Hmmm«, kam es missbilligend von Mutter.
Ich sah zu Imran hinüber. Er malte in seinem Malbuch und hatte ein Glas Milch vor sich stehen. Genau wie ich. »Ich bin alt genug«, sagte ich.
»Wer sagt das?«, fragte Mutter.
»Mach daraus doch keine so große
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