Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmelssucher - Roman

Himmelssucher - Roman

Titel: Himmelssucher - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: carl's books Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
Vom Netzwerk:
Sache, Muneer«, sagte Vater. »Es geht doch nur um eine Tasse Tee.«
    »Er ist alt genug zum Beten. Warum nicht auch für eine Tasse Tee?«, erwiderte Mina und warf mir einen Blick zu, der mir zu verstehen gab, worauf sie abzielte. Seit Wochen flehte ich sie an, mir das Beten beizubringen.
    »Alt genug zum Beten? Na, dazu müsste unser unachtsamer Herr es ihm aber erst beibringen«, erwiderte Mutter ungerührt. Im Islam gehörte es zu den Pflichten des Vaters, seinem Sohn das Beten beizubringen.
    »Muneer, ständig widersprichst du dir«, entgegnete Vater. »Sonst beschwerst du dich immer über die muslimischen Männer, und jetzt kritisierst du mich, weil ich nicht muslimisch genug bin.«
    »Das ist kein Widerspruch«, sagte Mutter und tippte mit dem Zeigefinger nervös gegen ihre Teetasse. »Was es an muslimischen Männern auszusetzen gibt, hat nichts mit dem Beten zu tun. Sondern damit, wie sie ihre Frauen behandeln.«
    Vater rollte mit den Augen und nahm einen weiteren Schluck.
    »Ich unterweise ihn gern, wenn du nichts dagegen hast«, sagte Mina zu Vater.
    Freudestrahlend drehte ich mich zu Vater hin. Doch der schien alles andere als begeistert. »Du hast ihm doch eh schon den Kopf verdreht mit diesem Buch .«
    Vaters mangelnde Begeisterung brachte natürlich unweigerlich Mutter auf den Plan. »Na, ich halte es für eine hervorragende Idee!«, trällerte sie.
    Mina beäugte Vater und wartete, wie er auf Mutters unvermitteltes Entzücken reagierte. »Aber ich will mich wirklich nicht dazwischendrängen …«
    »Das tust du nicht«, sagte er. »Wenn Muneer es so toll findet, dann nur zu. Unterweise ihn.« Er wandte sich an mich. »Aber ich will nicht, dass du am Ende ein Maulvi wirst, Hayat.«
    Maulvi war ein anderes Wort für Imam.
    Mina lachte. »Es geht nur ums Namaz, Naveed. Ich glaube kaum, dass er gleich ein Maulvi wird, nur weil man ihm das Beten beibringt. Und für wen sollte er denn ein Maulvi werden? Wir sind hier nicht in Pakistan.«
    »Glaub mir«, erwiderte Vater. »Es gibt hier genügend Idioten, die nur darauf warten, dass sie einer anführt. Du hast sie nur noch nicht kennengelernt. Chatha und seine Speichellecker in ihrer Masdschid in der South Side. Sei froh, dass du von denen noch keinem begegnet bist.« Er wandte sich wieder an mich. »Ich sage dir nur: Werde kein Maulvi.«
    Ich brauchte nicht lange, um das Beten und die diversen Kniffe zu lernen: welche Worte zu sprechen waren und welche Bewegungen damit einhergingen; wie oft jeder Abschnitt zu wiederholen war; wie man sich hinzusetzen hatte (den rechten Fuß untergeschlagen, den linken angewinkelt zur Seite gestreckt); die sieben Körperstellen, die den Boden berühren mussten (beide Knie, beide Hände, das Kinn, die Nase, die Stirn); die Bedeutung des nach oben gestreckten Zeigefingers im letzten Teil des Gebets (dadurch wurde man daran erinnert, dass es keinen Gott gab außer Allah).
    Das alles lernte ich schnell, aber Mina bestand immer darauf, dass die äußere Form nicht zählte. Bevor ich nicht verstand, was sie als den »inneren Aspekt« des Gebets bezeichnete, ließ sie mich nicht richtig beten; ich konnte nur üben. Ich musste mich hinsetzen und meinem Atem lauschen, so wie sie es mir an jenem Nachmittag des Eiscreme-Festes beigebracht hatte. In der Stille, beschwor sie mich, solle ich mich auf Gott konzentrieren. »Stell dir beim Beten immer vor, dass er ganz nah ist«, erklärte sie. »Wenn du ihn dir in deiner Nähe vorstellst, wirst du ihn dort auch finden. Wenn du ihn dir in weiter Ferne vorstellst, wird er dir auch immer fern bleiben.«
    Eines Tages beschloss Mina, dass ich so weit sei. Zu meiner großen Überraschung schlug Vater – der tatsächlich stolz auf mich zu sein schien – einen Ausflug zu eben jener Masdschid in der South Side vor, über die er sonst immer herzog. So, sagte er, könnte ich mein erstes Gebet mit der Gemeinde sprechen, so wie er es auch als Kind getan hatte. Als wir an jenem Sonntag zur Moschee kamen, hing an der Tür allerdings ein Schild, wonach der im Untergeschoss untergebrachte Gebetsraum mit Wasser vollgelaufen sei und der Gottesdienst an diesem Tag ausfalle. Wir fuhren nach Hause, wo Vater mit einer weiteren, für ihn höchst ungewöhnlichen Vorschlag aufwartete: Wir sollten doch als Familie und damit als unsere eigene kleine Gemeinde die Gebete sprechen. Mutter und Mina hielten es in ihrer Verblüffung für eine wunderbare Idee. Also banden Vater und ich uns Musselintücher um die Stirn –

Weitere Kostenlose Bücher