Himmelstal
unter den Armen und zog ihn mit einem harten Ruck ein Stück nach oben. Was zur Folge hatte, dass Daniel jetzt das ganze Gewicht auf den Beinen hatte. Er brüllte vor Schmerz, aber es gelang ihm, nach oben zu kriechen und sich zu befreien. Er rollte zur Seite, hielt sich das Fußgelenk und keuchte.
»Du bist viel hübscher ohne den Scheiß«, sagte Tom anerkennend.
Daniel stand auf, vergewisserte sich, dass er sich nichts gebrochen hatte, und leuchtete dann mit dem Feuerzeug umher. Sie waren in einer Höhle eingesperrt, umgeben von geborstenen Betonblöcken und abgebrochenen Armierungseisen.
Tom pfiff und zeigte auf etwas. Unter dem Beton ragte ein Arm in einem weißen Kittelärmel heraus. Die Hand war dunkelhäutig, die Handfläche heller, und die langen schmalen Finger sahen aus wie Blumenstängel.
»Doktor Kalpak«, stellte Tom fest.
Er beugte sich herunter, zog vorsichtig an den langen Fingern und schnalzte betrübt.
»Was hätte der für ein Gitarrenspieler werden können.«
»Seine Schwester spielt die Sologeige im London Symphony Orchestra«, murmelte Daniel und suchte vergeblich nach einem Puls in dem noch warmen Handgelenk.
Er betrachtete den Berg von Beton, der bis zur Decke reichte. Irgendwo da unten lag wahrscheinlich Doktor Fischer.
»Wo warst du denn, als die Gänge zusammenbrachen?«, fragte er Tom.
»Im Wartezimmer. Ich sollte nach dir operiert werden. Ich bin aufs Klo, die Wache wartete draußen. Dann passierte was, als ich spülte. Muss auf den falschen Knopf gedrückt haben. Und du? Warst mitten in der Operation?«
Er zeigte auf Daniels frisch rasierten Kopf, und Daniel spürte plötzlich, wie etwas Warmes, Klebriges über seine Schläfe und Wange lief. Mit einem erschrockenen Keuchen führte er die Hand zum Kopf, hielt inne und berührte dann vorsichtig eine brennende Stelle oberhalb des rechten Ohrs.
Tom nahm das Feuerzeug und leuchtete an Daniels Kopf.
»Nur eine Fleischwunde. Du hast Beton an die Birne gekriegt«, sagte er und fügte entschuldigend hinzu: »Jetzt muss ich schauen, dass ich weiterkomme.«
Er drehte sich ganz um, so dass Daniel jetzt im Dunkeln stand, und mit dem Feuerzeug in der einen Hand kletterte er mit erstaunlicher Beweglichkeit den Betonberg hinauf.
»Pass auf, dass hier nicht noch mehr einstürzt!«, rief Daniel, als Tom wie eine Gemse von Block zu Block hüpfte.
Wo wollte er denn hin?
»Viel zu verdammt eng hier. Das müsste weg«, fauchte er. »Und das auch.«
Tom stand oben auf dem Betonhaufen und zeigte mit den Händen, so dass die kleine Flamme in der Dunkelheit flackerte.
»Hier muss viel weg, Tom.«
Es wurde dunkler, und zu seinem Entsetzen sah Daniel, wie Tom langsam zwischen den Betonblöcken verschwand.
»Warte, wo willst du hin?«, rief er voller Panik. Er fürchtete, allein im Dunkeln zurückzubleiben.
»So, ja. Schon besser«, hörte er von oben.
Toms Kopf und die Hand mit dem Feuerzeug schauten aus einer Lücke zwischen den Betonblöcken und der Decke hervor.
»Kommst du oder willst du da unten bleiben?«, rief er.
»Was ist denn auf der anderen Seite?«, fragte Daniel unruhig und kletterte die Betonblöcke der eingestürzten Wand hinauf.
»Ich weiß nicht, ob es dir gefallen wird. Aber es ist auf jeden Fall nicht so verdammt eng«, sagte Tom.
»Sind es Behandlungsräume? Korridore?«
»So ähnlich.«
»Sind da Menschen?«
Tom drehte sich, der Arm mit dem Feuerzeug verschwand aus der Öffnung, und es wurde dunkel. Seine Stimme hallte eigentümlich.
»Nein. Oder doch. Irgendwie schon.«
»Warte. Mach mal das Feuerzeug an«, rief Daniel, der jetzt stolperte.
Im Stockfinstern suchte er nach einem Halt. Tom und das Feuerzeug tauchten wieder auf, und Daniel stellte zu seinem Entsetzen fest, dass nicht viel gefehlt hätte und er wäre in die Spalte zwischen zwei Blöcken gefallen.
»Leuchte mir, bis ich oben bin, bitte«, sagte er.
Tom seufzte ungeduldig, aber er hielt brav das Feuerzeug und imitierte wie zur Ablenkung erneut Gitarrenmusik.
Als Daniel sich bis nach oben hochgekämpft hatte, zog Tom sich zurück, damit Daniel sich durch die Öffnung quetschen konnte. Es erschien ihm erst ganz unmöglich, aber Tom hatte es schließlich auch geschafft, und auch wenn Daniel nicht ganz so schmal wie Tom war, musste er es auf jeden Fall versuchen. Er hatte keine andere Wahl.
Sein verletzter Kopf schrappte am Beton entlang, Blut lief ihm über die Wange. Aber mit zusammengebissenen Zähnen gelangte er auf die andere Seite.
Als
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