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Himmelstal

Himmelstal

Titel: Himmelstal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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sitzen.«
    »Das wird er auch nicht. Sie werden ihn genau richtig platzieren.«
    Die beiden Ärzte schauten sich über den Stuhl hinweg an und warteten. Außer dem Rauschen eines Ventilators war nichts zu hören.
    Fischer nickte aufmunternd, und Kalpak rasierte die letzten Haarbüschel von Daniels Schädel. Mit einem hummelartigen Surren wurde die Rückenlehne in eine liegende Position und dann der ganze Stuhl auf Arbeitshöhe gebracht.
    Doktor Kalpak schob etwas über Daniels Stirn – eine Art Metallbügel, der seinen rasierten Kopf fixierte, so dass er ihn nicht mehr zur Seite drehen konnte.
    Die Ärzte schauten sich wieder an. Fischers linkes Augenlid zuckte fast unmerklich.
    »Was haben Sie …«, begann Daniel.
    Im nächsten Moment explodierte sein Kopf in einem Funkenregen aus Schmerz. Er hörte einen Schrei, viel
leicht seinen eigenen, dann riss sein Bewusstsein wie ein durchgeschmorter Filmstreifen.

 
    57  Die vollkommene Dunkelheit, dachte Daniel erstaunt. Dicht und dick wie Materie umgab sie ihn von allen Seiten und drang in seinen Mund und seine Nasenlöcher. Nirgendwo die kleinste Lichtveränderung, keinerlei Nuancen im Schwarzen. Es war, als befände man sich in einem neuen Element, in dem man nicht wusste, wo oben und wo unten war. Wie im All. Dass der Nordpol oben und der Südpol unten ist, das war ja nur ein Vorurteil, warum sagte man das? Oben und unten im Verhältnis zu was?
    Er war offenbar tot. Oben und unten gab es nicht mehr. Er hatte keinen Bezug zu nichts. Aber wieso konnte er diese Gedanken denken? O doch, es gab einen Bezug. Etwas Schweres, Kantiges drückte auf sein rechtes Bein und die Hüfte, das war sehr konkret und schmerzhaft. Er versuchte, sich diesem Schweren zu entziehen, es wegzuschieben, aber er konnte sich kaum bewegen. Wo waren Doktor Fischer und Doktor Kalpak?
    Dann verstand er, was passiert war. Die Sprengungen. Doktor Fischers unterirdische Forschungsabteilung gehörte nicht zum offiziellen Programm in Himmelstal und war deshalb auf keinem Plan verzeichnet. Deshalb hatte man sie auch nicht berücksichtigt, als man die Dynamitladungen festlegte. Das Zimmer, in dem er sich befand, vielleicht die ganze Forschungsabteilung waren eingestürzt.
    Lebendig begraben! Der Gedanke war da, auch wenn er es ablehnte, sich mit ihm zu befassen.
    Er schrie, aber der Schrei brachte eher Schmerzen als Laute hervor, sein Hals füllte sich mit Betonstaub und zwang ihn zu einem schmerzhaften Husten.
    Mitten im Husten hörte er etwas. Eine Maschine? Eine menschliche Stimme? Langgezogene Töne, vibrierend und jaulend. Er lag ganz still und lauschte konzentriert.
Er glaubte die Melodie zu kennen. War das nicht The Star-Spangled Banner , die Nationalhymne der USA ? Aber sie klang so merkwürdig. Wie eine menschliche Stimme, die eine E-Gitarre nachmachte.
    »Tom!«, rief er. »Bist du das?«
    In steigendem Tempo wechselte die eigenartige Stimme zwischen lautem Schreien und dumpfem Bassgrummeln, und nach einem heftigen Crescendo brach sie ab, und eine kleine Flamme schien auf.
    Tom erschien im Dunkel. Er hielt ein Feuerzeug in der Hand, in dessen kleinem Lichtkreis sein totenkopfähnliches Gesicht unter dem kahlen Schädel glänzte. Die Gitarrenimitation hatte ihn wohl angestrengt, er war außer Atem, und Speichel lief ihm aus dem Mundwinkel, aber er schien unverletzt zu sein.
    »Kannst du mir helfen, Tom? Ich stecke irgendwie fest«, stöhnte Daniel.
    »Ja, hier ist es viel zu eng«, seufzte Tom, ohne einen Finger zu rühren.
    In dem schwachen Licht konnte Daniel jetzt herabgestürzte Betonblöcke und herausragende Armierungseisen erkennen. Er lag auf dem Fliesenboden, den umgestürzten Operationsstuhl über sich.
    »Tom«, stöhnte er noch einmal.
    Tom kam näher und leuchtete ihn mit dem Feuerzeug an. Er trat einen Schritt zurück, betrachtete ihn nachdenklich und fuhr sich mit der Hand über den kahlen Schädel. Schließlich entschied er.
    »Dieser Scheiß muss weg. Der bedeckt dich.«
    »Ganz deiner Meinung«, fauchte Daniel. »Aber ich stecke fest. Kannst du mir helfen?«
    Tom kam näher und inspizierte die Lage. Er hockte sich neben Daniel und reichte ihm das Feuerzeug:
    »Halt mal.«
    Mit aller Kraft drückte er dann seine Schulter gegen den Betonblock, konnte ihn aber nicht bewegen.
    »Geht nicht«, entschied er. »Zu schwer.«
    »Und wenn du versuchst, mich rauszuziehen?«, flüsterte Daniel.
    Tom seufzte und sah ganz so aus, als hätte er dazu jetzt keine Lust, aber er packte Daniel

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