Himmelstal
jetzt, wo sie trocken waren, viel heller, fast weißblond. In den Ohren trug sie zwei riesige Silberringe, aber ihr Dekolleté war ohne Schmuck.
»Wir brauchen Champagner!«, rief sie aus.
Als Daniel kurz darauf mit seinem hohen, leicht rosafarbenen Glas mit ihr anstieß, fragte er sich, was eigentlich passiert war. Heute Morgen hatte er sich mit einem Rucksack auf den Weg gemacht, er wollte hier weg. Jetzt saß er im Restaurant der Klinik und prostete einer schönen, vermögenden Patientin zu. Es ging alles irgendwie zu schnell, er kam nicht mehr mit. Und gleichzeitig war es so, als würde die Zeit stillstehen.
Das Essen wurde gebracht. Die Frau stampfte unter dem Tisch eifrig mit den Absätzen, wie ein Kind.
»Mein Gott , was bin ich hungrig. Es können Wochen vergehen, ohne dass ich ordentlich zu Abend esse. Ich denke eigentlich nicht daran. Aber in mir sammelt sich eine riesige Menge Hunger. Ich bin nur ein schwarzes Loch.«
Manisch, dachte er. Aber hübsch.
Sie aß schnell und gierig und spülte das Essen mit großen Schlucken Wein hinunter. Ein Tropfen lief ihr übers Kinn und tropfte auf das Tischtuch.
»Was habe ich nur für schlechte Tischmanieren«, stellte sie fest und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund.
»Es schmeckt richtig gut.«
»Wirklich? Ich merke so etwas nie.«
Sie aß noch schnell ein paar Bissen, dann legte sie plötzlich das Besteck ab.
»Mein Gott , was bin ich satt.«
»Schon?«
Sie schob mit einer heftigen Bewegung den Teller von sich, wischte sich mit der Leinenserviette den Mund ab und warf sie auf den Tisch.
»Ich habe gesehen, es gibt Schokoladentorte als Nachtisch«, bemerkte Daniel.
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich werde in den nächsten Wochen nichts Essbares zu mir nehmen. Ich bin wie eine Pythonschlange. Ich verschlinge einen Ochsen, und dann hungere ich einen Monat. Soll ich dir eine Geschichte erzählen? Ich weiß nicht, ob sie wahr ist. Ein Mädchen hatte eine Pythonschlange. Sie fütterte sie mit Ratten und Meerschweinchen, und nachts schlief die Schlange in ihrem Bett. Sie rollte sich am Fußende zusammen wie ein Hund. Dann, auf einmal, weigerte sie sich zu fressen. Monatelang kein einziges Meerschweinchen. Das Mädchen machte sich natürlich Sorgen und ging mit der Schlange zum Tierarzt. ›Ist dir sonst etwas aufgefallen?‹, fragte der Tierarzt. ›Ja‹, sagte das Mädchen, ›normalerweise schläft sie zusammengerollt am Fußende, aber jetzt liegt sie ausgestreckt neben mir, wie ein Mensch.‹ Da erzählte der Tierarzt, dass die Pythonschlange sich auf eine große Beute vorbereitet, indem sie monatelang fastet und sich ausgestreckt neben die Beute legt, um Maß zu nehmen. Glaubst du, dass die Geschichte wahr ist? Ein Freund in London hat sie mir erzählt.«
»Ich glaube nicht, dass sie wahr ist«, sagte Daniel.
Sie zuckte mit den Schultern, holte ihren Taschenspiegel aus der Handtasche und kontrollierte ihr Gesicht.
»Ich habe sogar den Lippenstift gegessen. Verstehst du jetzt, wie hungrig ich war?«, sagte sie, holte einen Lippenstift hervor und malte sich die Lippen in einem glänzenden Kaugummirosa an. Sie grimassierte und zupfte mit den Fingerspitzen in den kurzen Haaren. Dann klappte sie den Taschenspiegel zu und sagte:
»Wollen wir einen romantischen Abend verbringen, du und ich?«
»Wie meinst du das?«
»Du weißt schon. Wein trinken, tanzen. Im Mondschein schwärmen.«
»Es regnet«, bemerkte Daniel mit einem Blick Richtung Fenster.
»Gut. Dann müssen wir in deiner Hütte Schutz suchen, die nassen Kleider ausziehen und uns vor dem Kaminfeuer trocknen.«
Er lachte.
»Ich weiß nicht einmal, wie du heißt.«
»Dummes Zeug. Alle wissen, wie ich heiße.«
»Ich nicht. Ich bin kein Patient. Ich habe meinen Bruder besucht …«
Er schwieg. Zum wievielten Mal erzählte er das jetzt?
»Ja?«
Sie beugte sich interessiert über den Tisch, und er konnte direkt in ihren Ausschnitt schauen.
»Max und ich sind Zwillinge. Er hat mich gebeten, für ein paar Tage den Platz mit ihm zu tauschen, aber dann ist er nicht zurückgekommen. Er hat mich hier sitzenlassen.«
»Prima.« Sie sah, dass sie noch einen Schluck Wein im Glas hatte, und leerte es schnell. »Kommst du mit raus, eine rauchen?«
»Ich rauche nicht.«
»Ich habe nicht gefragt, ob du rauchst. Ich habe gefragt, ob du mitkommst, eine rauchen.«
Sie hatte schon eine Zigarette und ein Feuerzeug aus der Tasche geholt.
»Okay«, sagte er.
Sie nahmen den Lift und stellten
Weitere Kostenlose Bücher