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Himmelstal

Himmelstal

Titel: Himmelstal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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es mir bis zur Hütte und stapelt es ordentlich an der Hauswand auf. Aber ich würde mich hüten, zu ihm nach Hause zu gehen. Mein Gott, du bist wirklich ein Lämmchen!«
    Dann schaute sie ihn plötzlich besorgt an.
    »Hast du ihm erzählt, dass du mit deinem Bruder getauscht hast?«
    »Ja.«
    »Wie hat er darauf reagiert?«
    »Er sagte, ich sei wahnsinnig. Die ganze Zeit hat er das gesagt. Von wegen Projektionen.«
    »Wem hast du es sonst noch erzählt?«
    Daniel dachte nach.
    »Dem Personal in der Klinik?«
    »Ja. Ich habe mit den Hostessen in der Rezeption gesprochen.«
    »Und die haben dir nicht geglaubt?«
    »Nein.«
    Sie warf den Kopf in den Nacken und lachte laut.
    »Haben sie nichts gemerkt? Das ist wunderbar!«
    Daniel verstand nicht, was daran so wunderbar war. 
    »Hast du mit einem der Ärzte gesprochen?«
    »Nein, ich habe einen Termin bei Gisela Obermann gehabt, aber ich bin nicht hingegangen.«
    »Gisela Obermann würde dich durchschauen. Sie ist Expertin. Sie sieht sofort, dass du nicht echt bist.«
    »Meinst du, sie würde mir helfen, von hier wegzukommen?«
    »Sie wird dich auf der Stelle in ein Auto zum Flugplatz setzen. Sie will dich loswerden, so schnell es nur geht und bevor du herumerzählen kannst, wie schlecht die Sicherheitsvorkehrungen sind. Mein Gott, wird sie wütend werden. Hast du es anderen Patienten erzählt?«
    »Nein. Ich habe kaum mit den anderen Patienten gesprochen.«
    »Gut. Mach es auch nicht.«
    »Warum nicht?«
    Sie drehte sich zu ihm um, fasste ihn fest um Kinn und
Wangen und betrachtete ihn mit einem merkwürdigen Lächeln.
    »Weil sie dich dann auffressen werden, Liebling. Und das möchte ich nicht. Wenn dich jemand auffrisst, dann ich. Du gehörst mir , mein Lämmchen, sonst niemandem.«
    Man hörte Schritte und Stimmen. Daniel blickte hoch. Menschen liefen schnell aus verschiedenen Richtungen durch den Park. Manche waren auf dem Weg zum Hauptgebäude, andere zu den Hütten. Er hatte keine Uhr, aber er wusste, dass es bald zwölf war. In den letzten Tagen hatte er kapiert, was es mit der gehetzten Stimmung auf sich hatte, die der Nachtpatrouille vorausging. Das Klinikgelände, das gerade noch menschenleer war, schien jetzt von Patienten zu wimmeln, die eilig zu ihren Zimmern und Hütten unterwegs waren. Was würde eigentlich passieren, wenn sie um die magische Uhrzeit nicht zu Hause waren?
    »Es scheint Zeit zu sein.«
    Sie hielt immer noch sein Gesicht, die langen Nägel drückten sich in seine Haut.
    »Wenn die Hostessen dir gute Nacht gesagt haben, komme ich in deine Hütte. Dann bekommst du einen Gute-Nacht-Kuss von mir. Der schmeckt viel besser, das verspreche ich dir.«
    »Ich weiß immer noch nicht, wie du heißt.«
    Sie ließ ihn los und streckte ihm höflich die Hand hin. Sie war schmal, aber stark.
    »Samantha«, sagte sie.
    Sie ließ ihn stehen und lief quer über die Wiese. Ihre hohen Absätze bohrten sich in den aufgeweichten Boden, und ab und zu wankte sie. Dann verschwand sie hinter ein paar Büschen und war weg.
     
    Daniel war kaum in der Hütte, da hörte er das surrende Elektroauto und kurz darauf das Klopfen. Die Patrouille begann ihre Runde heute offenbar bei ihm.
    »Ich sehe, dass du immer noch bei uns bist, Max. Das freut mich.«
    Es war die etwas ältere Hostess, die heute Vormittag an der Rezeption gesessen hatte. Die sich geweigert hatte, ein Taxi zu rufen.
    Er nickte freundlich, dann waren sie weg. Er hörte, wie sie die Reihe der Hütten abklapperten, dann surrte das Elektroauto wieder davon.
    Daniel schenkte sich einen Whisky ein und überlegte, ob Samantha ihm Avancen gemacht hatte. Anders konnte man es nicht deuten. Oder doch? Sollte er sich darauf einlassen oder sie zurückweisen?
    Er schaute aus dem Hüttenfenster. Wo hatte sie ihre Hütte? Sie wohnte offenbar nicht im Hauptgebäude, denn sie war in eine andere Richtung gegangen. Ein Wind war aufgekommen, die Bäume im Park bogen sich und verdeckten die Laternen, so dass die Beleuchtung zu flackern schien.
    Er duschte und setzte sich in den Sessel, nippte an seinem Whisky und lauschte nach dem Geräusch von hohen Absätzen. Nach einer Stunde gab er auf, erleichtert und enttäuscht zugleich. Er ging zu Bett, ließ die Tür jedoch unverschlossen.
     
    Als er eingeschlafen war, träumte er, dass jemand neben ihm im Bett lag und tief ein- und ausatmete. In der schwachen, flackernden Beleuchtung der Außenlaternen sah er, wie eine dicke Schlange sich von seinem Kopfkissen erhob und ihn

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