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Himmelstal

Himmelstal

Titel: Himmelstal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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sich auf die Treppe unter das vorspringende Dach. Der Regen rauschte unsichtbar in der Dunkelheit. Sie zündete die Zigarette an, sog gierig den Rauch ein und stieß ihn in kurzen, harten Wölkchen aus.
    »Es ist eine schöne Klinik«, sagte Daniel zögernd.
    »Das wirst du nicht mehr finden, wenn du so lange hier warst wie ich.«
    »Wie lange bist du schon hier?«
    Sie schien nachzudenken und blies ein paar Rauchringe aus, die in die Dunkelheit tanzten.
    »Acht Jahre.«
    »Acht Jahre! Am Stück?«
    Sie nickte.
    »Aber du hast doch manchmal Ausgang?«
    »Machst du Witze?«
    »Wie alt bist du denn?«
    »Dreiunddreißig. Meine eigenen Eltern haben dafür gesorgt, dass ich hierher komme. Meine eigenen Eltern!«, fauchte sie bitter. »Obwohl sie wussten, dass ich hier nie wieder rauskomme. Oder vielleicht gerade deshalb.«
    Daniel versuchte sich vorzustellen, wie es war, wenn man die besten Jahre des Lebens in einer Klinik verbrachte.
    »Es ist vielleicht frech von mir zu fragen, und du brauchst auch nicht zu antworten, aber was ist denn deine Diagnose?«, fragte Daniel vorsichtig.
    »Die gleiche wie deine, nehme ich an.«
    »Wie meine?«
    »Wie bei allen hier.«
    »Ich bin nicht krank. Mein Bruder ist krank.«
    »Idiot«, sagte sie und rauchte weiter, ohne ihn anzuschauen.
    Er erzählte die ganze Geschichte mit der Bedrohung durch die Mafia, vom Rasieren und dem angeklebten Bart. Sie klang ziemlich unglaubwürdig. Er glaubte sie ja selbst kaum. Er rechnete damit, dass sie mit den Schultern zucken und weiter Rauch ausstoßen würde. Aber zu seiner Überraschung ließ sie die Zigarette fallen und schaute ihn an, ihre Augen wurden immer größer.
    »Ist das wahr«, fragte sie. »Du erzählst mir hier nicht irgendwelchen Scheiß, um mich zu amüsieren?«
    »Es ist wahr«, sagte er müde.
    Sie betrachtete ihn mit neuem Interesse.
    »Wow!«, rief sie aus. »Das gibt es doch nicht. Warum habe ich keinen Zwilling, der mit mir den Platz tauschen kann? Verdammt, wie ungerecht.«
    »Du glaubst mir also?«
    »Na klar.«
    »Warum?«
    Die Zigarette lag auf der Treppe und qualmte vor sich hin. Sie drückte sie mit dem Absatz aus.
    »Weil deine Geschichte so schlecht ist. Nicht mal der dümmste Blödmann kommt auf so eine schlechte Story. Aber es ist noch etwas.« Sie machte eine Pause und schaute ihn listig an. »Ich spüre, dass du anders bist. Ich habe fast vergessen, wie Menschen wie du sind.«
    »Menschen wie ich?«
    »Du bist so lebendig. Und du hast eine wunderbare Aura. Weißt du das?«
    »Nein, wieso?«
    »Ich kann die Aura von Menschen sehen. Das ist eine Begabung. Manche haben eine starke Aura, andere eine schwache. Deine ist stark. Und sehr schön.«
    »Hat sie eine Farbe?«
    »Grün. Smaragdgrün. Ich habe so eine Aura nicht mehr gesehen, seit ich hier bin. Die Aura von Max war weiß und metallisch. Wie ein Gewitter.«
    Daniel lachte.
    »Sollen wir wieder rauf ins Restaurant gehen? Du scheinst zu frieren, mit deinen nackten Schultern.«
    »Du kannst deinen Arm um mich legen, wenn du willst.«
    »Ja«, sagte er, machte aber keine Anstalten. »Aber wir
gehen doch besser wieder rauf. Wir haben ja noch gar nicht gezahlt.«
    »Und wenn schon? Sie wissen, wo sie uns finden, nicht wahr? Es regnet nicht mehr. Komm, wir machen einen Spaziergang. Wir wollten einen romantischen Abend miteinander verbringen, hast du das vergessen?«
    Sie schob ihren nackten Arm unter seinen und zog ihn die Treppe hinunter in den Park. Nichts regte sich auf dem Klinikgelände, von den Bäumen tropfte es nach dem Regen. Ihr Arm war kalt, ihre Hüfte rieb sich beim Gehen an seiner. Ihre Nähe ließ ihn nicht unbeeindruckt. Aber, dachte Daniel, als sie in der feuchten Dunkelheit die kleinen Wege entlangspazierten, man verbringt nicht grundlos acht Jahre in einer Klinik. Als hätte sie seine Gedanken gelesen, sagte sie:
    »Du findest, dass ich krank im Kopf bin, nicht?«
    »Ehrlich gesagt, ich finde, dass die Leute im Tal erheblich verrückter sind als die hier in der Klinik.«
    Er erzählte ihr von seinem missglückten Versuch, von Tom mit dem Holztransporter mitgenommen zu werden. Sie hörte mit großen Augen zu.
    »Warst du bei ihm zu Hause ? Wie sieht es da aus?«
    »Da stehen jede Menge Holzskulpturen, die er offenbar selbst gemacht hat.«
    »Widerliche Sachen, was? Hast du noch mehr widerliche Dinge gesehen?«
    »Nein, aber er kam mir ein wenig merkwürdig vor. Kennst du ihn?«
    »Tom?« Sie lachte heiser. »O ja. Ich bestelle Holz bei ihm. Er fährt

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