Himmelstal
wurden.«
»Wer ist die Frau?«
»Eine Italienerin, mit der Max ein Verhältnis hatte. Sie verließ ihn wegen eines anderen Mannes. Diesem da.«
Als Gisela Obermann Daniel das Bild mit dem zerschlagenen Männergesicht vors Gesicht hielt, mußte er wegschauen.
Sie verteilte die Fotos auf dem Schreibtisch.
»Was fühlst du?«, fragte sie.
»Nehmen Sie sie weg. Das ist widerlich«, sagte Daniel.
»Du hast nach der Frau gefragt, aber nicht nach dem Mann. Interessiert sie dich mehr?«
Er schüttelte heftig den Kopf.
»Und es war nicht das erste Mal, dass er so etwas getan hat, nicht wahr?«, fuhr sie fort.
Mit zitternden Händen schob Daniel die Bilder zusammen und legte sie mit der Rückseite nach oben auf den Tisch.
»Max hat das nicht getan«, sagte er bestimmt. »Er war nie gewalttätig.«
»Nicht? Wie gut kennst du ihn eigentlich?«, fragte Gisela Obermann und legte die Fotos wieder in den Schrank.
Er schwieg eine Weile, schüttelte dann entschlossen den Kopf und sagte noch einmal:
»Das kann Max nicht getan haben.«
Sie betrachtete ihn interessiert und wartete darauf, dass er noch etwas sagen würde, aber er wollte die Fotos nicht weiter kommentieren.
»Dies ist also eine Klinik für Psychopathen?«, sagte er stattdessen, und versuchte, so ruhig wie möglich zu sprechen.
»Ja.«
»Umgeben von einem unsichtbaren Zaun.«
Sie nickte.
»Aber die Zonen umschließen ja das ganze Tal, nicht nur die Klinik. Wie funktioniert das denn mit den Leuten im Dorf?«
Sie schaute ihn verständnislos an.
»Oder wollen Sie damit sagen, dass die Leute im Dorf …« Daniel schluckte. »Dass sie auch Patienten sind?«
»Keine Patienten. Wir sagen Bewohner. Alle in Himmelstal sind Bewohner. Manche wohnen im Klinikgebäude oder wie du in Hütten auf dem Klinikgelände. Andere wohnen im Dorf oder in eigenen Häusern im Tal. Je nachdem, was man selbst will und was die Klinikleitung für geboten hält.«
Daniel dachte einen Moment darüber nach, dann sagte er:
»Die ältere Frau in der Bierstube. Hannelore. Sie ist also auch eine … Bewohnerin?«
Gisela nickte.
»Was hat sie getan? Warum ist sie hier gelandet, meine ich?«
Gisela dachte einen Moment nach, dann sagte sie:
»Normalerweise erzählen wir nichts über die anderen Bewohner. Aber du bist ein Sonderfall. Und was Hannelore und ihren Mann betrifft, so weiß das ganze Tal Bescheid. Ja, auch viele außerhalb des Tals. Sie waren vor ungefähr zehn Jahren in allen Zeitungen Europas. Hannelore und Horst Fullhaus, hast du noch nie von ihnen gehört?«
Daniel schüttelte den Kopf.
»Sie hatten acht Pflegekinder und haben sechs davon ermordet. Ihr eigener Sohn war auch beteiligt, aber der wurde nicht verurteilt, weil er noch minderjährig war.«
»Sie hat sechs Kinder ermordet?«, keuchte Daniel. »Wie? Nein ich will es lieber nicht wissen.«
Er versuchte zu schlucken, was Gisela Obermann gerade gesagt hatte. Konnte das wirklich stimmen? Jetzt fiel ihm ein, dass er tatsächlich vor langer Zeit etwas von diesem österreichischen Paar gehört hatte. Jemand hatte ein Kind in einer Hundehütte angekettet, war es nicht so? Und dann etwas mit einem Wäschetrockner.
»Und Corinne?«, fuhr er fort. »Das Mädchen in Hannelores Bierstube? Ist sie auch Bewohnerin?«
»Ja, auch sie. Alle sind hier Bewohner, mit Ausnahme von Klinikpersonal und Forscherteam. Es ist kein normales Krankenhaus. Es ist eine Gesellschaft, in der jeder seine Aufgabe hat. Corinne bedient und unterhält die Leute in der Bierstube. Ein begabtes Mädchen. Magst du sie?«
»Was hat sie getan?«
Gisela zögerte.
»Ich glaube nicht, dass Max das wusste. Und deshalb kann ich es dir nicht sagen.«
Ihm war plötzlich richtig übel, einen Moment lang glaubte er, er müsse sich übergeben, aber es war nur sein erhöhter Puls.
Sie legte einen Arm um seine Schultern.
»Das ist ein bisschen viel für dich, nicht wahr? Du musst dich ausruhen. Ich werde jemanden rufen, der dich in dein Zimmer bringt.«
Gisela ging zum Telefon und wählte. Dann half sie ihm aus dem Stuhl und gab ihm seine Krücken.
»Du wolltest etwas über die Frau sagen«, sagte sie, während er auf seinen Krücken zur Tür hüpfte.
»Welche Frau?«
Er drehte sich um, und sein Blick fiel auf den Kleiderständer, den Gisela von Tom bekommen – oder gekauft –
hatte. Die aufgesperrten Augen in dem geschnitzten Gesicht mit dem stumm schreienden Mund starrten ihn an.
»Die Frau auf den Fotos, die ich dir gezeigt habe. Du hast sie
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