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Himmelstal

Himmelstal

Titel: Himmelstal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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verbringen ihr ganzes Leben in Himmelstal und haben freien Umgang miteinander. Und doch habe ich noch keine Kinder gesehen. Im Dorf nicht und auch sonst nirgendwo im Tal. Kein einziges Kind!«
    »Wir möchten, dass das Leben in Himmelstal sich so natürlich wie möglich gestaltet. Sexuelle Beziehungen sind nicht verboten. Aber Kinder können wir hier natürlich nicht zulassen. Alle, Frauen wie Männer, sind sterilisiert. Es wird gleich nach der Ankunft gemacht.«
    Sie sagte es ruhig und ganz selbstverständlich, als spräche sie von einer Grippeimpfung.
    »Max ist also …«
    Gisela nickte.
    »Alle. Und da du und Max einen Körper teilen, gilt es auch für dich.«
    Sie spricht von Max. Nicht von mir, redete Daniel sich ein. Das betrifft mich nicht.
    »Erst dachten wir, die Frauen würden ausgenützt. Aber die Frauen hier in Himmelstal können sich wehren. Wir haben nichts dagegen, wenn sich Paare bilden. Manche waren schon ein Paar, bevor sie herkamen. Wie Hannelore und ihr Mann in der Bierstube. Und dann gibt es viele kurzfristige Verbindungen. Und es gibt auch schwule Paare. Und höchstwahrscheinlich auch Prostitution.«
    Sie waren nun in der Abteilung, in der Daniels Zimmer lag. Gisela drückte einen Code, und die Türen öffneten sich.
    »Wir mischen uns hier nicht ein, das ist Teil des Privatlebens. Alle werden auf Geschlechtskrankheiten untersucht. Auch das wird gleich nach der Ankunft des Bewohners gemacht. Test und dann Behandlung. Dann braucht man sich keine Sorgen mehr zu machen. Keine Schwangerschaften. Keine Geschlechtskrankheiten. Ein Paradies der freien Sexualität, wenn man so will.«
    Sie blieben vor der Tür zu Daniels Zimmer stehen.
    »Hier wären wir also«, sagte Gisela und öffnete ihm.
    Daniel blieb stehen.
    »Einen Moment noch. Ich weiß, dass eineiige Zwilling die gleiche DNA haben, aber wenn Max sterilisiert ist, müsste man doch sehen können, dass ich es nicht bin. Das kann man doch untersuchen, nicht wahr?«
    Gisela lachte.
    »Vermutlich. Das ist nicht so ganz meine Baustelle.
Aber ich glaube nicht, dass ich Doktor Fischers Erlaubnis für eine so überflüssige Untersuchung bekommen würde. Alle wissen, wer du bist. Nur du selbst weißt es nicht.«
    Sie machte eine Handbewegung ins Zimmer.
    »Leg dich hin und ruh dich aus. Ich hoffe, du kannst bald wieder in deine Hütte zurückkehren.«
    Sie reichte ihm eine Broschüre mit dem Foto eines Alpengipfels auf dem Umschlag.
    »Ein bisschen Information über Himmelstal. Das bekommen alle unsere neuen Bewohner, und ich denke, ich muss dich als solchen betrachten. Und Doktor Heine hat recht: du brauchst Schutz, Daniel. Ich will sehen, was ich tun kann. Ein guter Ratschlag: Erzähl den anderen Bewohnern nicht, dass du Daniel bist. Für sie bist du Max, verstehst du? Die soziale Struktur in Himmelstal ist strikt hierarchisch, und Max genoss einen gewissen Respekt.« Sie blinzelte ihm konspiratorisch zu und flüsterte: »Tu so, als wärst du er.«

 
    34  Daniel lag auf seinem Bett im Krankenzimmer und las zum zehnten Mal die Broschüre über Himmelstal, die Gisela Obermann ihm gegeben hatte. Endlich hatte er auch seine Kontaktlinsen aus der Hütte bekommen.
    Es klopfte an der Tür. Ohne auf eine Antwort zu warten, trat Karl Fischer ein und setzte sich auf Daniels Bettkante.
    »Wie geht es unserem Patienten? Es heilt gut, höre ich. Das freut mich, Daniel. Denn du bist doch immer noch Daniel? Oder ist inzwischen eine neue interessante Persönlichkeit aufgetaucht, die ich noch nicht kenne?«, sagte er voller Hohn und gab Daniel einen leichten Klaps auf das Bein mit den Brandverletzungen.
    »Wo ist Doktor Obermann?«, fragte Daniel.
    Fischer schwieg und schaute sich in dem kleinen Zimmer um, als kenne er es nicht. Seine hellblauen Augen bewegten sich wie schnelle Fische in einem Netz von Falten, sie schienen um Jahrzehnte jünger zu sein als er selbst. Dann bemerkte er die Broschüre, die aufgeschlagen auf Daniels Brust lag. Er nahm sie, klopfte sich damit auf die Handfläche und sagte:
    »Doktor Obermann ist die Verantwortung für dich entzogen worden. Dieser einstimmige Beschluss wurde auf der letzten Besprechung getroffen.«
    »Warum?«, fragte Daniel erstaunt. »Ich bin gut mit Doktor Obermann zurechtgekommen.«
    Karl Fischer lachte und schlug ihm die Broschüre gegen die Brust. Er war Daniel zutiefst unsympathisch.
    »Das will ich gerne glauben. Du hast sie ganz schön um den Finger gewickelt, was? Aber an diesen Quatsch mit einer neuen

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