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Himmelstal

Himmelstal

Titel: Himmelstal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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deutlich werden. Ihm wurde warm ums Herz. Dann sagte er:
    »Ich lege jetzt auf.«
    »Nein, warte. Du musst mir zuhören. Es ist wichtig. Ich habe mit Gisela Obermann gesprochen. Ich weiß, was dir zugestoßen ist. Es ist gut, dass du misstrauisch bist. Es ist gut, dass du dich einschließt. Das ist ganz richtig. Aber wenn du dich total isolierst, wirst du verrückt. Irgendwann musst du dir auch etwas zu essen besorgen.«
    Er schwieg. Sie hatte recht. Er hatte aus seiner Hütte eine Festung gemacht, und nun waren seine Essensvorräte so gut wie aufgebraucht.
    »Du solltest die anderen meiden«, fuhr sie fort. »Aber
du darfst dich nicht verstecken. Du darfst keine Angst zeigen. Sie können deine Angst durch die Hüttenwände riechen. Bist du noch da?«
    »Ja«, sagte er leise.
    »Wir müssen uns treffen.«
    »Ich will niemanden treffen.«
    »Schon recht. Aber du brauchst jetzt Hilfe. Hör mir zu, Daniel: Du bist neu. Du bist ein Lämmchen. Du bist von Feinden umgeben. Du brauchst einen Mentor.«
    Er schluckte und sagte:
    »Du bist eine Bewohnerin von Himmelstal. Wie soll ich dir vertrauen können?«
    »Du hast keine Wahl, Daniel. Ohne einen Mentor gehst du unter. Und glaub mir, ich bin der beste Mentor, den du kriegen kannst. Es gibt schlechtere. Viel, viel schlechtere.«
    »Ich möchte die Hütte lieber nicht verlassen.«
    »Das brauchst du auch nicht. Mach einfach die Türe auf. Ich stehe davor.«
    Er ging zum Fenster und schaute durch den Vorhangspalt.
    Da stand sie, in einer orangefarbenen Regenjacke, das Handy drückte sie in der hochgeschlagenen Kapuze ans Ohr. Im strömenden Regen sah sie jämmerlich und klein aus. Sie schaute ihn direkt an, durch die Fensterscheibe sah er, wie ihre Lippen sich bewegten, die Stimme im Handy sagte halb bittend, halb fordernd:
    »Mach jetzt auf.«
    Er machte auf. Sie zog die Regenjacke aus und hängte sie über einen Stuhl. Dann setzte sie sich ungeniert in einen der Sessel und schüttelte die Haare wie ein Hund. Daniel setzte sich ihr gegenüber.
    »Du hast also mit Gisela Obermann gesprochen«, sagte er. »Ist sie deine Psychiaterin?«
    »Ja.«
    »Gehört es hier zum guten Ton, dass die Ärzte mit Patienten über ihre anderen Patienten sprechen?«
    »Scher dich nicht um Bagatellen. Das kannst du dir nicht leisten. Deine Situation ist ernst.«
    »Hat Doktor Obermann dir auch erzählt, dass ich an einer multiplen Persönlichkeitsstörung leide?«
    Corinne nickte.
    »Glaubst du es auch?«
    »Nein. Aber diese Theorie war vielleicht von Vorteil für dich. Das hat sie dir gegenüber wohlwollend gestimmt. Sie dachte, sie hätte etwas Wichtiges entdeckt. Alle Wissenschaftler in Himmelstal träumen davon, etwas Wichtiges zu entdecken. Jetzt ist Gisela dein Fall entzogen worden, und Karl Fischer hat ihn übernommen. Das ist nicht gut. Jetzt musst du das Beste aus der Situation machen.« Sie schüttelte sich, als würde sie frieren. »Eine Tasse Tee würde mir guttun.«
    »Tut mir leid. Ich habe keinen Tee. Es gibt Bohnen in Tomatensoße und Wasser.«
    Sie stand auf. Dann zog sie einen Stuhl zur Küchenzeile, kletterte hinauf und holte aus dem obersten Fach des Küchenschranks eine Packung Teebeutel, die Daniel bisher nicht entdeckt hatte.
    »Max mochte keinen Tee. Ich habe ihn gekauft, damit er mir Tee anbieten konnte, wenn ich herkam«, sagte sie und füllte Wasser in den Kocher. »Möchtest du auch?«
    »Ja gern. Du bist also öfter in dieser Hütte gewesen?«
    »Ein paar Mal. Wir trafen uns meistens bei mir.«
    Sie holte zwei Teebecher und hängte einen Teebeutel in jeden. Daniel wartete, ob sie noch etwas mehr über ihre Beziehung zu Max sagen würde, aber das tat sie nicht.
    »Ich komme mir vor wie ein Gast im eigenen Haus«, sagte er, als sie den Teebecher vor ihm auf den Tisch stellte.
    »Genau das bist du wohl in Himmelstal.« Sie lächelte ihn schief an. »Ein Gast?«
    »Der nicht nach Hause gehen kann«, sagte er bitter.
    Sie nippte vorsichtig am heißen Tee, lehnte sich zurück und sagte:
    »Gisela hat dir erklärt, was das hier für ein Ort ist. Verstehst du jetzt, warum ich so abweisend war, als du mich gefragt hast, ob ich dir helfen kann, von hier wegzukommen? Ich kann dich nicht aus Himmelstal herausbringen. Ich komme ja selbst nicht raus.«
    »Wenn Max zurückkommt …«
    Sie machte eine abwehrende Handbewegung.
    »Der kommt nicht zurück. Ich kenne ihn. Du warst seine Chance, und die hat er ergriffen. Hier entscheiden nur die Ärzte, sie müssen wir überzeugen. Sie

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