Himmelstiefe
lassen.“
Es funktionierte. Delia sah mich mit großen Augen an. Sie schluckte es. Sie war glücklich, dass ich ihr etwas aus meinem Beziehungsleben erzählte. Mitleidsvoll nahm sie meine Hand.
„Ach, Armes … Das tut mir leid … Aber habt ihr euch denn gestern wieder vertragen?“
„Ja, haben wir. Es ist alles wieder in Ordnung. Luisa will wieder drauf achten, dass unsere Freundschaft an erster Stelle bleibt und Tim erst einmal genauer beobachten. Außerdem hat sie wahrscheinlich eh keine Chance bei ihm. Also lohnt sich unser Streit doppelt nicht.“
Delia lächelte und streichelte meine Hand.
„Für den Richtigen ist es ja auch noch zu früh. Er muss erst mal was aus seinem Leben machen. Und bis dahin sollten Freundinnen wirklich zusammenhalten.“
Ich nickte zustimmend, auch wenn das eine typische Delia-Meinung war, in der mitschwang, dass man den Richtigen an seinem Kontostand bemaß.
Ich entzog Delia meine Hand. Sie seufzte.
„Ach … Ich hatte mir schon solche Sorgen gemacht.“
„Sorgen, ach was!“, schaltete sich die raue Stimme von Rosa ein.
„Eine Tracht Prügel hätte sie verdient!“
Rosa war eine untersetzte Frau Ende vierzig. Sie hatte ein schönes Gesicht, umrahmt von dicken schwarzen Locken und trug immer knallroten Lippenstift. Eigentlich sah sie aus wie eine Spanierin, aber sie war Französin, die seit dreißig Jahren in Deutschland lebte. Und sie hatte ein loses Mundwerk, was meine Eltern ihr jedoch verziehen, weil sie absolut zuverlässig arbeitete. Vielleicht brauchten sie Rosa sogar als „Narren an ihrem Hof“, denn Rosa hatte schon öfter Streitigkeiten zurechtgerückt und ausgesprochen, worum alle Beteiligten herum redeten. Rosa knotete den Müllsack zu, in dem sich die Scherben von Spiegel und Lampe befanden.
„Solche Sauereien können sich nur verwöhnte Gören reicher Eltern leisten, weil sie es selbst nie sauber machen müssen!“
„Du hast ja recht, Rosa.“ Ich knibbelte ein paar Blüten der Staude ab und reichte sie ihr: „Danke, dass du sauber gemacht hast. Danke, Rosa.“
Rosas Mund stand einen Moment offen, aber es kam nichts mehr heraus. Ich hatte ihr mit meiner Geste den Wind aus den Segeln genommen. Sie steckte die Blüten in ihre Kitteltasche, grummelte irgendwas, schnappte sich den Müll und die Schaufel und verließ mein Zimmer. Ich sollte wohl nicht sehen, dass ihre Mundwinkel zuckten, weil sie gerührt war und ein Lächeln verhindern musste. Der Hausfrieden war also wieder hergestellt.
„Wollen wir ein Eis essen gehen?“, fragte mich Delia mit einem Ton, als wäre ich erst vier. Der kleine Ausflug würde ihr das Gefühl geben, alles im Griff zu haben mit ihrem Kind. Also sagte ich:
„Ja.“
***
Mein Laptop funktionierte noch, auch wenn es ganz schön was abbekommen hatte. Der Bildschirm hatte einen Sprung im Rahmen und hing nur noch wacklig an der Tastatur. Die Abdeckung für den Akku war herausgebrochen. Ich vermisste Atropa. Ich MUSSTE einfach nachsehen, ob sie sich wieder angemeldet hatte. Wir waren uns so nah gewesen. Es KONNTE nicht sein, dass wir nichts mehr voneinander hören würden. Inzwischen wusste ich nicht mehr, warum mich ihr „Rollenspielmodus“ so verschreckt hatte. Das war doch alles harmlos. Ich legte mich auf die Holzdielen, weil mein wackliger Laptop eine solide Unterlage brauchte und schaute zu, wie sich langsam der Bildschirm aufbaute.
Auf einmal hörte ich Stimmen.
Leise, aber sehr deutlich. Erst dachte ich, es wären die Radiowellen irgendeines Senders, die sich in den Heizungsrohren verfangen hatten. Das hatte ich schon mal bei Luisa erlebt, auch wenn es da der Wasserkessel war, der plötzlich Red Hot Chillis spielte. Ich rappelte mich auf, ging hinüber, lauschte an der Heizung, aber da war nichts. Seltsam. Oder hatte ich mir das nur eingebildet? Die Angst wollte wieder an mir hochkriechen, dass irgendwas mit mir nicht in Ordnung war. Wie leicht sie sich mobilisieren ließ. Ich machte ein paar ruckartige Bewegungen, um sie zu vertreiben, kehrte zurück zu meinem Platz auf dem Fußboden und startete Firefox. … Und da waren sie wieder, die Stimmen. Sie waren nicht in mir, sie schienen aus dem Fußboden zu kommen … Jetzt hörte ich es genauer, sie gehörten eindeutig Delia und meinem Vater. Noch nie hatte ich ihre Stimmen durch die Decke hindurch gehört, auch nicht, wenn ich still im Dunkeln im Bett lag und wusste, dass sie unten stritten. Ich legte mein Ohr direkt auf das Holz und verstand ihre Worte so
Weitere Kostenlose Bücher