Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
Vom Netzwerk:
Läufer. Aber ich lag um einiges vor ihm. Zum Glück hatten die anderen nichts davon mitbekommen, weil jeder, der fertig war, sofort vor dem Regen in die Turnhalle geflüchtet war. Allerdings tauchte nun Herr Falke hinter uns auf und nahm Luisa die Tabelle aus der Hand. Er entdeckte meine Laufzeit und schnaubte verächtlich:
    „Kira hat angeblich den Weltmeister im Sprinten vom letzten Jahr geschlagen? Sagt mal, für wie bekloppt haltet ihr mich eigentlich?“
    „Nein, es ist wahr …“, wollte Tim mich verteidigen und Luisa hielt ihm die Stoppuhr hin. Da tat Herr Falke etwas, was für einen Lehrer wirklich unangemessen war: Er schlug Luisa die Stoppuhr aus der Hand, so dass sie ihre Hand mit einem schmerzhaft verzogenen Gesicht zurückzog.
    „Da haben wir die zweite Sechs. Ihr denkt wohl, ihr könnt mit mir machen, was ihr wollt!“
    In mir rollte eine Welle unendlicher Wut heran: was hatte dieser Idiot seine Launen immer an uns auszuagieren? Seit Neuestem sogar mit Handgreiflichkeiten. Verstärkt durch meine Angst, dass mit mir definitiv was nicht stimmte, brannten mir die Sicherungen durch. Mit ungeahnter Wucht schubste ich Falke mit beiden Handflächen gegen die Brust. Er flog ungefähr zwei Meter weit, fiel auf den Rücken und blieb mit einem spitzen Aufschrei auf der Betonkante zum gepflasterten Weg, der zum Eingang der Turnhalle führte, liegen.
    Oh, mein Gott! Ich hatte ihm hoffentlich nicht das Rückgrat gebrochen? Während Luisa und Tim hineilten, schrie alles in mir nach FLUCHT und ich suchte das Weite.
     
    Aufgeregte Stimmen, der Direktor Herr Schmitt und noch zwei weitere Lehrer kamen über den Hof gelaufen, dann die Sirenen eines Krankenwagens.
    Zusammengekauert zwischen den Mülltonnen lauschte ich dem allgemeinen Aufruhr. Man suchte nach mir, aber ich gab keinen Mucks von mir. Ich war zu erschüttert von meiner Tat. Falke hatte mich furchtbar wütend gemacht, aber natürlich hatte ich nicht vorgehabt, ihn krankenhausreif zu schlagen. Wahrscheinlich Steißbeinbruch sagten die Sanitäter. Mit seinem Rücken schien alles in Ordnung. Gott sei Dank! Aber so ein Bruch war natürlich schlimm genug. Immerzu gingen mir Atropas Worte durch den Kopf: „Du wirst ungeahnte Fähigkeiten entwickeln … du wirst deine Kräfte nicht unter Kontrolle haben …“ Kalter Schweiß lief mir den Rücken hinab. Ich war ein Monster. Ich würde mich hier nicht von der Stelle rühren, bis niemand mehr auf dem Schulgelände war. Ich würde bleiben, bis mich die Ratten fraßen. Ich streckte meine Hände weit von mir weg, als könnte ich so Abstand von mir gewinnen. Sie waren weiß und dünn und ich wünschte, sie würden nicht zu mir gehören. Mein ganzer Körper schlotterte, so dass ich befürchtete, die Mülltonnen zum Klappern zu bringen. Ich klemmte mir meine Hände unter die Achseln, presste meinen Oberkörper zusammen und versenkte meinen Kopf zwischen Brust und Knie, als würde mich das in meine althergebrachte Kondition zurückbringen.
    Die Schüler der zwölften Klassenstufe verschwanden im Schulgebäude, auch der Direktor und die Lehrer. Die erste große Pause ging vorüber, dann die Essenpause. Am Nachmittag wurden die letzten Fahrräder aus den Fahrradständern geholt. Ich saß immer noch zwischen den Mülltonnen und hatte mich kein Stück wegbewegt.
    ***
    Ich vernahm ein Knistern hinter mir. Etwas näherte sich, langsam tastend, suchend … Keine Ratten oder Katzen. Es war etwas Großes - definitiv. Adrenalin schoss durch meine Adern wie Brausepulver. Ich sprang auf, wirbelte herum, ging in Angriffsposition … und blickte direkt in die Augen von Tim.
    „Komm her …“, flüsterte er einfach und ich ließ mich völlig erschöpft in seine Arme fallen. Er drückte mich an sich, während mir die Tränen über die Wangen liefen und strich mir mit der Hand beruhigend über meine von Schweiß und Regen verklebten Haare. „Komm“, sagte er noch einmal und dann führte er mich durch die Mülltonnen hindurch hinaus auf die Straße. Auf dem Bürgersteig stand sein Mofa. Er ging darauf zu, schloss die Sitzbank auf und gab mir einen Helm.
    „Wo fahren wir hin?“
    „Wohin du möchtest.“
    „Nicht zur Polizei … und nicht nach Hause.“
    „Okay, aber deine Eltern solltest du anrufen, bevor es dunkel wird. Sonst schicken die die Polizei los. Wahrscheinlich hat Schmitt sie schon informiert.“
    Tim schloss seinen Helm vom Lenkrad ab und saß auf. Ich setzte mich hinter ihn und schlang meine Arme um seine Taille.

Weitere Kostenlose Bücher