Himmelstiefe
Hoffnung.
„Doch, es gibt eine, aber der Preis ist zu hoch, als das sie für dich in Frage kommt. Es steht in keinem Verhältnis und der Rat würde es auch nicht genehmigen.“
„Welche!“ Ich sah sie erwartungsvoll an. Kein Preis kam mir zu hoch vor, das verwirrende Intermezzo einfach hinter mir zu lassen und mein normales Leben an der Stelle wieder aufzunehmen, an der es abgebrochen war.
„Wenn Leute in der magischen Welt oder auch in der Realwelt zur ernsthaften Gefahr werden, dann löscht der Rat ihr Gedächtnis. Sie werden zurückgeschickt in die normale Welt. Sie erinnern sich nicht mehr an die magische Welt und teilweise auch nicht an ihre Vergangenheit, je nachdem, wie sehr oder wie negativ sie damit verwoben waren. Ihre elementaren Fähigkeiten werden bis zu ihrem Lebensende durch eine injizierte Substanz unterdrückt. Aber sie haben davon Zeit ihres Lebens Fieberschübe, ähnlich wie schwere Malaria-Anfälle, vielleicht drei oder viermal im Jahr. Das ist schlimm, die Ärzte sind ratlos. Es geht aber nicht anders. Sonst würden sie wieder in einer Anstalt landen oder erneut in der magischen Welt.“
Neve sah mich traurig an. Ich senkte den Blick und schwieg.
„Das ist kein guter Tausch, nur um so jemand wie Leo nicht wiedersehen zu müssen“, befand sie.
„Es ist doch nicht wegen Leo!“, brauste ich auf, so dass Neve zusammenzuckte.
„Ich weiß, es ist wegen dieses Tims. Aber ihr seid doch nur ein Jahr getrennt.“
„Nur ein Jahr!? Wenn ich zurückkomme, ist er fertig mit der Schule und sicher längst im Ausland. Er ist klug, er hat so viele Ideen. Bestimmt hat er mich bis dahin vergessen.“
„Vergessen? Dann traust du eurer Liebe aber nicht viel zu. Kira, verliebt sein in deinem Alter ist normal. Aber das geht so schnell wie es kommt. Dafür schmeißt man nicht sein Leben weg.“
„Meine Liebe zu Tim ist nicht irgendeine Liebe! Sie ist was ganz Besonderes“, schrie ich und Neve zuckte wieder zusammen.
„Ja, gut. Ist ja gut. Aber dann solltest du ihr auch mehr vertrauen! Ein Jahr ist nichts für die wahre Liebe !“, Neves Stimme war jetzt auch laut. Ich wusste darauf nichts zu sagen. Sie hatte leider recht. Trotzdem … In meinem Kopf drehte sich alles.
„Außerdem, was heißt denn In meinem Alter ? Du redest wie eine alte Oma, die alles schon tausend Mal erlebt hat. Warst du denn überhaupt schon mal verliebt? Ich meine, so richtig?“
Neve schüttelte den Kopf und sagte ganz leise: „Nein.“
„Noch nie? Auch nicht mal so ein bisschen?“
„Nein.“
Eine Frage drängte sich mir auf:
„Wie alt bist du eigentlich?“
„Zweiundzwanzig. Aber das hat nichts mit dem Alter zu tun.“ Sie straffte ihre Schultern und sah mich an, entschlossen, sich von mir nicht in die Enge treiben zu lassen.
„Ich bin hier, seit ich fünfzehn bin.“
„Mit fünfzehn schon …?!“
„Ja… und ich halte nichts von diesem Liebesaufruhr. Ich glaube, ich stehe darüber. Ich schaue es mir an und ich helfe. Ich bin ein Engel, verstehst du.“
„Du stehst darüber ?“, wiederholte ich verächtlich. Verliebt sein war doch nichts Minderwertiges.
„Naja, als Engel, meine ich … Damit will ich die Liebe nicht abwerten. Ich liebe ja auch einige Menschen sehr, aber … ich verliebe mich eben nicht, im herkömmlichen Sinne.“
Ich nickte. Ich verstand. Neve war ein Engel. Es machte Sinn. Auf einmal sagte sie:
„Kira, ich mag dich. Du bist sehr stark. Du hast starke Gefühle, weißt du. Der Anfang ist schwer, aber du wirst es schaffen. Und du wirst Tim wiedersehen. Das spüre ich. Wenn ein wenig Zeit vergangen ist, vielleicht kann ich ihn auch mal besuchen.“
Ihr letzter Satz traf mich wie ein heller Sonnenstrahl. Das war eine ganz neue Perspektive.
„Und ihm eine Nachricht überbringen?“
„Nun ja, das darf ich nicht. Aber ich kann dir von ihm erzählen, was er gerade tut, wie es ihm geht. Wenn er gerade von starken Gefühlen bewegt wird, höre ich vielleicht sogar seine innere Stimme …“
Mir wurde ganz warm in der Herzgegend. Ich würde etwas über Tim erfahren, ich würde ihm durch Neve ein Stück näher sein …
„Danke …“, sagte ich und umarmte Neve. Ich hatte eine neue Freundin. „Du bist … ein Engel!“, schob ich hinterher und schmunzelte.
„Ja…“, sagte sie. „Aber jetzt müssen wir gehen. Du musst schlafen und ich ein bisschen meditieren. Morgen ist dein erster Tag mit Jerome. Er wird dich nicht schonen.“
***
Den Rest der Nacht schlief ich tief und
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