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Himmelstiefe

Himmelstiefe

Titel: Himmelstiefe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne Unruh
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seinen Turm, außer zu nächtlichen Spaziergängen im Wald.“
    Die Tür wurde aufgerissen und ein kleiner drahtiger Junge mit kurzen schwarzen Haaren und kariertem Hemd stand vor uns. Sein Alter war schwer zu schätzen. Vielleicht war er achtzehn, über zwanzig oder auch schon dreißig. Was Autismus bedeutete, hatte mir Luisa schon einmal erklärt, aber ich war noch nie einem Autisten begegnet. Pio leierte eine Begrüßung herunter, die wie auswendig gelernt klang und schaute dabei niemanden von uns an.
    „Guten Tag. Ich bin Pio. Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Bitte kommen Sie herein.“
    Er machte eine vornehme, einladende Geste. Wir traten ein und er schloss hinter uns die Tür.
    Wir standen in dem runden Raum des Turmzimmers. Es erinnerte mich ein bisschen an mein eigenes neues Zimmer. Nur dass das hier um einiges größer war. Die Sonne schien durch zwei der kleinen Fenster, die rundherum Licht in das Zimmer ließen. Über mir glitzerten unzählige bunte Murmeln in allen Größen, die in kleinen und größeren feinen Netzen von der Decke hingen. Ich sah zwei Schreibtische. Auf einem stand ein Monitor. Dazwischen befanden sich gläserne Gefäße in allen Größen, gefüllt mit Murmeln. Eine ganze Regalwand in der Ecke neben einer weiteren Tür war ebenfalls voll davon.
    „Ich sammle Murmeln. Murmeln sind eine gute Sache. Kommen Sie hierher. Ich zeige Ihnen meine Beste.“
    Pio ging zu einem kleinen Extratisch, auf der eine riesige Murmel in einem Ständer lag. Sie war mit bunten Farben und Lufteinschlüssen durchzogen und wog bestimmt einen Zentner.
    „Sehen Sie. Sie ist die beste Murmel. Ich rolle sie einmal am Tag. Aber das darf ich erst, wenn unten kein Unterricht mehr ist. Ich rolle sie immer um 17 Uhr. Sehen Sie, hier ist eine Uhr. Sie ist sehr genau.“
    Ich musste schmunzeln.
    „Er wird dir die Monstermurmel jedes Mal zeigen“, raunte Jerome mir zu.
    „Bitte nehmen Sie Platz. Ich bringe Ihnen einen Orangensaft. Sie können so lange schreiben, wie Sie wollen. Sie sagen mir Bescheid, wenn Sie fertig sind. Speichern Sie ihre Nachrichten im Postausgang. Ich versende sie. Das ist meine Aufgabe.“
    Pio vermied es weiter, Blicke mit mir oder Jerome zu wechseln und verschwand im Nebenraum.
    „Setz dich.“ Jerome zeigte zu dem Schreibtisch mit dem Monitor.
    „Pio bringt dir einen Saft und lässt dich in Ruhe schreiben.“
    Mir brannte eine Frage auf den Lippen und ich musste sie stellen:
    „Liest er sich die Nachrichten vor dem Versenden durch?“
    „Nein, das tut er nicht. Es ist deine Sache, was du schreibst. Achte einfach darauf, dass du nichts erzählst, was jemanden gefährden könnte. Richte es so ein, dass sie weder nach dir suchen, noch Antworten erwarten. Das macht alles nur kompliziert und wirft zu viele Fragen auf. Wir haben uns in der Akademie darauf verständigt, dass jeder alle drei Monate schreiben darf.“
    „Was? Nur alle drei Monate?“ Ich war mir sicher, dass ich mich verhört hatte.
    „Kira. Nach allem, was du bereits weißt, ist dir selbst klar, dass es die vernünftigste Lösung ist. Du bist offiziell in den indischen Bergen, weit weg von einer nächstgrößeren Stadt. Und da das nicht mal stimmt, was solltest du in deinen E-Mails dauernd schreiben!“
    Jeromes Tonfall ließ keinen Zweifel, dass Protest zwecklos war. Und er war ja auch zwecklos. Jerome hatte völlig recht und beantwortete die Frage, die mir als nächstes auf der Zunge brannte:
    „Aber …“
    „Ja, du kannst natürlich noch mal zu Pio und deine Antworten lesen.“
    Immerhin etwas. Immerhin, versuchte ich mich zu trösten.
    Pio kam zurück und stellte mir ein Glas Orangensaft hin. Ich bedankte mich. Er öffnete mir ein ganz normales E-Mail-Programm. Dann setzte er sich an den zweiten Schreibtisch.
    „Okay, Kira. Ich lass dich jetzt allein. Am besten, wir treffen uns in circa einer Stunde im Akademie-Café. Ich stelle dir ein paar meiner Studenten mit Element Erde vor. Cynthia kennst du ja schon. Wir werden hin und wieder etwas mit ihnen zusammen machen. Für heute ist es dann erst mal genug.“
    Jerome verabschiedete sich von Pio, der „Auf Wiedersehen, mein Herr“, zurückgab und begann, einen Berg Papier zu sortieren, als wäre ich auch nicht mehr da.
     
    Ich bewegte die Maus. Der Bildschirm wurde hell. Einen Zugang zum Internet fand ich nicht. Nur das Mail-Programm. Zuerst wollte ich die Nachricht an meine Eltern erledigen.
     
    Liebe Delia, lieber Gregor,
    ich weiß, ihr werdet sehr enttäuscht

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