Himmlisch verliebt
als Elias sie begrüßte. „Du? Was machst du denn hier?“
„Eigentlich wollte ich dich besuchen. Aber du warst nicht da, und deine Mutter meinte …“
„Ich habe meine Schwester besucht. Sie liegt im Krankenhaus.“
Merle sprach ganz schnell und schaute Elias nicht an.
„Das hast du mir gar nicht erzählt.“ Elias wirkte nun richtig beklommen.
Lilith spürte, wie ihn die Geschichte beschäftigte und unglücklich machte. Sie versuchte, sich auf Merle zu konzentrieren. Ob dieses dunkle Geistwesen noch bei ihr war? Bestimmt. Aber wer immer es war, es war für Lilith nicht zu spüren.
„Willst du meine Schwester kennenlernen?“, schlug Merle vor. „Sie freut sich immer, wenn sie Besuch bekommt.“
„Gerne“, erwiderte Elias überrascht.
„Dann komm!“ Merle drehte sich um und ging Richtung Krankenhaus zurück.
Elias beeilte sich mit ihr mitzukommen und Lilith folgte den beiden. Dabei betrachtete sie Elias aufmerksam. Er sah so liebevoll aus, wenn er mit Merle redete. Viel erwachsener kam er ihr plötzlich vor. So, als glaubte er, sie beschützen zu müssen.
Als sie im Krankenhaus angekommen waren, ging Merle direkt auf den Fahrstuhl zu. Sie kannte den Weg. Station drei – Kinderstation, drückte sie. Dann standen Merle und Elias nebeneinander und warteten darauf, dass der Fahrstuhl nach oben fuhr.
„Was … hat deine Schwester denn?“, wollte Elias wissen.
Merle antwortete nicht.
Lilith spürte dieses Schweigen wie eine Wand. Irgendetwas war mit dieser Schwester geschehen. Das war nicht zu übersehen. Auch Elias schien das zu spüren.
„Was …“ , begann er wieder.
Aber da öffnete Merle auch schon die Tür zum Krankenzimmer. „Hallo Alina!“, rief sie fröhlich. „Ich bin`s nochmal. Diesmal habe ich dir Besuch mitgebracht.“
Lilith sah, wie Elias erbleichte. Sie versuchte, an ihm vorbei zu sehen, und dann sah sie, was er sah. In dem Kinderbett am Fenster lag ein kleines Mädchen. Sie lag auf dem Rücken und starrte an die Decke. Schläuche führten zu ihrer Nase, Elektroden zu ihrer Brust, und ihr Arm war an einen Tropf angeschlossen. Ein Gerät zeigte auf einer Skala eine Frequenz an, ein anderes Gerät eine andere.
Merle trat ans Krankenbett und streichelte das bleiche Gesicht des kleinen Mädchens. Es zeigte keine Regung. Immer noch starrte sie mit halb geöffneten Augen an die Decke.
„Was ist mit ihr?“ Elias war wie erstarrt.
„Sie liegt im Koma“, erklärte Merle. Es war erstaunlich, wie gefasst ihre Stimme klang. „Schon ein halbes Jahr lang.“
„Wieso? Wieso denn?“ Elias schrie fast.
„Ein Badeunfall“, erklärte Merle. „Meine Eltern waren mit uns schwimmen. Irgendwann haben sie das Picknick vorbereitet. Ich habe ihnen dabei geholfen. Alina hat in der Zeit am Ufer im Sand gespielt. Plötzlich war sie nicht mehr dort. Wir kriegten einen Riesenschrecken und haben sie gesucht. Da lag sie plötzlich im Wasser und bewegte sich nicht mehr.“
„O nein!“ Elias schlug die Hände vors Gesicht. „Das ist ja schrecklich. Sie ist doch noch so klein.“
„Sie ist sieben“, erklärte Merle. „Sie hatte gerade ihr Seepferdchen gemacht.“ Sie streichelte ihrer Schwester wieder liebevoll über das Gesicht.
Lilith war genauso erschrocken und betroffen wie Elias. Und doch, wenn sie sich zurücknahm und ihre Gefühle herunterfuhr, konnte sie noch etwas anderes spüren. Etwas Unheimliches, Bedrohliches. Etwas, das ihr sagte, dass hier noch etwas anderes geschah – etwas, das sich nicht erklären ließ. Jemand war dort am Fenster. Ein Geistwesen hatte sich dort in der Ecke des Zimmers eingerichtet. Natürlich, Geistwesen waren bei jedem Menschen, und dieses kleine Mädchen brauchte ganz besonderen Schutz. Aber dieses Geistwesen wirkte irgendwie bedrohlich. Wie ein schwarzer böser Schatten. Vielleicht campierte es schon ein halbes Jahr lang dort. Wartete auf den Moment, an dem dieses Mädchen starb, um es mit in sein Reich zu nehmen.
Wer war dieses Wesen?
Lilith versuchte, sich zu konzentrieren. Das Geistwesen war nur zu erahnen. Genau wie jene Gestalt hinter Merle, zu der Lilith keinen Kontakt bekam. Lilith zog sich in die andere Zimmerecke zurück, lehnte sich gegen die Wand und versuchte die Kälte der Wand in sich aufzusaugen. Das machte sie starrer und unbeweglicher. Und jetzt gelang es ihr endlich, die Umrisse des Schattenwesens am Fenster zu sehen. Schemenhaft nur. Aber doch so klar, dass sie erkennen konnte, dass es eine Frau war, die dort hockte. Eine
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