Himmlische Juwelen
sich
zusammensetzen konnten. Sie hatte die Cousins seit dem Vorstellungsgespräch
dort nicht mehr gesehen.
Sie und Roseanna gingen den Flur hinunter in die Bibliothek. Es war
hier stickiger als in den anderen Zimmern, denn durch das Heizen hingen noch
die Gerüche der Leute in der Luft, die sich in den letzten Wochen hier
aufgehalten hatten. Roseanna ging zu den Fenstern und stieß sie weit auf, dann
wieder zur Tür und öffnete auch diese ganz, um Durchzug zu schaffen. »Lass
alles so lange auf, wie es geht«, meinte Roseanna noch und ging den Besuchern
entgegen.
Caterina, kurzfristig zur Hausmeisterin ernannt, stellte sich in die
leichte Brise, die durch die Fenster hereinwehte. Als sie Schritte hörte,
machte sie die Fenster zu und verschanzte sich hinter dem großen Tisch. Gleich
darauf erschien Roseanna, hinter ihr Dottor Moretti mit seiner Aktentasche. Caterina
fragte sich, ob die Cousins sich Seite an Seite durch die Tür quetschen oder
sich draußen darum prügeln würden, wer als Erster hineindurfte.
Weder noch. Signor Stievani trat als Erster ein, dicht [71] gefolgt
von seinem Cousin, dem Wucherer. Oder sollte man besser sagen: der
Steuerhinterzieher trat als Erster ein, dicht gefolgt von seinem Cousin, Signor
Scapinelli? Caterina setzte ein freundliches Lächeln auf, schüttelte beiden die
Hand und zog einen Stuhl für den einen heraus, während Roseanna gegenüber einen
zweiten für den anderen herauszog. Keiner der Männer schien den Mief im Raum zu
bemerken, und keiner schien sich an Roseannas Anwesenheit zu stören.
Mit lässiger Autorität schritt Dottor Moretti ans Kopfende des
Tischs, wartete, bis alle Platz genommen hatten, und setzte sich dann
ebenfalls. Er nickte den Cousins zu und kam sofort zur Sache. »Die
Arbeitsbedingungen habe ich Dottoressa Pellegrini bereits erklärt.« Die
üblichen Höflichkeiten hatte er wohl schon bei der Begrüßung abgehakt. »Sie hat
keinerlei Einwände gegen die Auflagen und wollte gerade den Vertrag
unterzeichnen, als Sie eintrafen.« Er nickte Caterina zu und reichte ihr einen
Stift, sie unterschrieb den Vertrag und gab ihn zurück.
Dottor Moretti entnahm seiner Aktentasche eine blaue Mappe, schob
das Schriftstück hinein und die Mappe in die Tasche zurück, die mit einem
hörbaren Plumpsen auf dem Boden landete. »Falls einer von Ihnen, Signor
Scapinelli oder Signor Stievani, der Dottoressa oder Signora Salvi oder mir
etwas mitzuteilen hat, haben Sie jetzt dazu Gelegenheit.«
Caterina beobachtete die beiden Männer und versuchte festzustellen,
ob ihr erster Eindruck – negativ in beiden Fällen – sich bei dieser zweiten
Begegnung bestätigte. Bislang saßen sie einfach nur da und ignorierten einander
geflissentlich, indem sie den Blick auf Dottor Moretti hefteten.
Erst jetzt, da sie die beiden zusammen sah, erkannte [72] Caterina,
dass Stievani mindestens zehn Jahre älter war als sein Cousin. Er hatte die
gegerbte Haut eines Mannes, der im Freien arbeitete, ohne sich vor der Sonne zu
schützen, eine Haut, die an das Leder von Dottor Morettis Aktentasche
erinnerte, wobei der Anwalt seine Tasche besser gepflegt hatte als Signor
Stievani sein Gesicht. Oder seine Hände. Deren Knöchel waren geschwollen, die
Finger knorrig von Arthritis oder jahrzehntelanger Arbeit auf Booten bei kalter
Witterung. Seine Fingernägel jedoch waren zu Caterinas Überraschung sauber
geschnitten und manikürt.
Stievanis Nase war lang und gerade, seine Augen hellblau unter
spitzen Brauen. Sein von Alkohol oder Krankheit aufgedunsenes Gesicht aber war
alles andere als schön – ein wandelndes Wrack.
An seinem Cousin, Signor Scapinelli, fielen ihr wie bei der ersten
Begegnung vor allem die Augen auf. Unwillkürlich musste sie an Dantes Schilderung
der Wucherer denken. Sie wusste nicht mehr, in welchem Kreis der Hölle sie
schmachteten – im siebten? Im achten? Jedenfalls sitzen sie in alle Ewigkeit
auf dem brennenden Sand der Hölle und schlagen nach herabfallenden Flammen, wie
Hunde nach Flöhen, um sie zu verscheuchen. Am Hals tragen sie kleine Beutel mit
ihrem nutzlosen Reichtum darin, und Dante beschreibt, wie ihre Augen sich
selbst in der Hölle noch am Anblick dieser Beutel weiden. Ihre Augen, dachte
sie, mussten denen von Signor Scapinelli gleichen: flackernder Blick aus
tiefliegenden Augen mit dunklen Ringen.
Ihr war nicht entgangen, wie Scapinelli die Aktentasche, die goldene
Brille und den Anzug des Anwalts taxiert hatte, und jetzt schämte sie sich,
dass auch
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