Himmlische Leidenschaft
Dunkelheit. Die Nachttiere widmeten sich wieder ihrer normalen Beschäftigung, Nahrung zu suchen, angespornt von der Kälte und dem drohenden Winter.
Eine Beutelratte huschte durch eine Öffnung zwischen einem mannshohen Salbeibusch und den kleineren Büschen, die in ungefähr zehn Metern Entfernung wuchsen. Augenblicke später glitt eine Eule auf lautlosen Schwingen herbei. Ein winziger, panikerfüllter Schrei durchschnitt die nächtliche Stille, gefolgt von dem Geräusch heftig flatternder Flügel.
Gleich darauf erhob sich die Eule wieder in den Himmel. In ihren Klauen hing - als dunkle, scharf umrissene Silhouette gegen das Licht der Sterne erkennbar - der schlaffe Körper einer Beutelratte.
Stille kehrte wieder ein, so undurchdringlich wie die Nacht selbst.
Die Tiere lassen sich von diesen falschen Eulenschreien ebensowenig an der Nase herumführen wie ich, dachte Case trocken.
Seiner Schätzung nach ertönten die Rufe jetzt ungefähr zehn Meter näher am Haus als die erste Serie schlecht nachgeahmter Eulenschreie, die er gehört hatte.
Plötzlich bewegte sich die Silhouette eines Mannes gegen das Sternenlicht. Er war nur für den Bruchteil eines Augenblicks zu sehen, doch für Case reichte die Zeit vollauf, um die Position des Mannes auszumachen.
Hundert Meter weiter entfernt schlich noch ein Schatten über das Gelände.
Mindestens zwei Männer, entschied Case. Und sie sind keine Culpeppers, es sei denn, die Jungs haben ihre Vorliebe für Hüte im mexikanischen Stil entdeckt.
Wo haben sie wohl ihre Pferde gelassen ?
Im Umkreis von tausend Metern um das Haus herum gab es nur wenige Stellen, die genug Deckung boten, um Pferde zu verstecken.
Ich wette, sie sind diese Schlucht heruntergeritten, die ein paar hundert Meter hinter dem Abort einmündet, dachte er. Sie sind viel zu faul, auch nur einen Schritt weiter zu gehen als unbedingt nötig.
Case duckte sich erneut und lief mit raschen, lautlosen Schritten über das gerodete Gelände rings um das Haus. Er schlängelte sich geschickt durch Buschwerk und hohes Gras, bis der Abort hinter ihm lag.
Dann richtete er sich auf, wobei er sorgfältig darauf achtete, das Außengebäude zwischen sich und der Stelle zu halten, wo er die Männer gesehen hatte, und eilte in Richtung der Schlucht, die sich auf die Ebene gleich hinter dem Haus öffnete.
Drei Pferde warteten in der Schlucht, angebunden an das Gerippe eines abgestorbenen Wacholders.
Pest und Hölle, dachte er. Pferde.
Er hatte gehofft, Maultiere vorzufinden. Es wäre wesentlich leichter, die Culpeppers einen nach dem anderen im Schutz der Dunkelheit zu erledigen als in einer direkten Konfrontation, so wie er es bei der Schießerei in Spanish Church getan hatte.
Und auch weitaus weniger riskant.
Ein schneller, vorsichtiger Rundgang durch die Mündung der Schlucht verriet Case, daß die Männer niemanden zur Bewachung der Tiere zurückgelassen hatten.
Ab muß in der Zwischenzeit Geduld gelernt haben. Was für ein Jammer. Es macht ihn nur noch gefährlicher.
Eine leere Whiskeyflasche glänzte im Sternenlicht unter den knorrigen, verdorrten Zweigen des Wacholders. Abgenagte Knochen von einem Kaninchen waren achtlos neben die Flasche geworfen worden.
Schätze, die Jungs haben hier eine Weile gewartet, überlegte Case. Hoffentlich haben sie lange genug warten müssen, um ungeduldig zu werden.
Denn ungeduldige Männer machten Fehler.
Mehrere Minuten lang sprach Case mit sanfter Stimme auf die Pferde ein und bewegte sich betont langsam, um den Tieren das Gefühl zu vermitteln, daß er trotz seines fremden Geruches keine Gefahr für sie darstellte.
Die Pferde standen ruhig da, während er ihre Zügel vom Zaumzeug abschnitt. Er benutzte die geflochtenen Lederstreifen, um ih-nen die Vorderbeine zu fesseln. Dann löste er die Sattelgurte und zäumte die Tiere vollständig ab.
Falls es einer der Reiter zurück zu seinem Pferd schaffte, würde er es höllisch eilig haben, wegzukommen.
So, dachte Case, jetzt wird’s Zeit, festzustellen, wie betrunken diese Jungs wirklich sind.
Er machte sich ebenso leise und unauffällig auf den Rückweg zum Haus, wie er auf seinem Weg zur Schlucht gewesen war. Tatsächlich bewegte er sich so lautlos, daß er beinahe über den ersten Banditen gestolpert wäre.
»Rusty?« flüsterte der Mann. »Was zum Teufel tust du hier? Du kommst schon noch an die Reihe bei dem Mädchen, nachdem ich es ihr besorgt ha ...«
Die Worte erstarben auf seinen Lippen, nur Sekundenbruchteile
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