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Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Titel: Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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ist.«
    Ich überließ es ihnen, auf Père Henri zu warten, und machte mich auf den Weg zur Place Saint-Jérôme. Wenn jemand wusste, wo Reynaud steckte, dann war es Joséphine. Aber Caros Bemerkung hatte bei mir einen empfindlichen Nerv getroffen.
    Es wäre nicht das erste Mal.
    Ja, ich weiß, Caro hat Joséphine noch nie gemocht. Und über eine unverheiratete Mutter wird in Lansquenet immer getratscht. Ich sollte Caros Bemerkung einfach ignorieren. Und trotzdem – weiß sie womöglich Bescheid über Pilous Vater?
    Das Café war leer. Auch niemand hinter dem Tresen. Ich rief nach Joséphine. Keine Antwort. Marie-Ange machte offenbar Pause. Mich überkam auf einmal eine kindliche Erleichterung. Ich muss sie jetzt nicht sehen. Dann sah ich, dass sich hinter dem Glasperlenvorhang, der das Café vom Wohnbereich trennte, etwas bewegte.
    »Joséphine?«, rief ich noch einmal.
    »Wer will was von ihr?«, fragte eine Männerstimme.
    »Ich bin’s, Vianne«, antwortete ich. »Vianne Rocher.«
    Kurz herrschte Stille. Dann teilte sich der Perlenvorhang, und ein grauhaariger Mann in einem Rollstuhl erschien. Zuerst erkannte ich ihn nicht. Ich registrierte nur den Rollstuhl und die verkümmerten Beine, die sorgfältig von einer karierten Decke umhüllt waren. Dann sah ich ihn: die dunklen Augen, die gut geschnittenen, aber brutalen Gesichtszüge, das Lächeln, die muskulösen Arme in dem Jeanshemd.
    »Hallo, du Schlampe, mischst du dich wieder in alles ein?«
    Es war Paul-Marie Muscat.

3

    Donnerstag, 26. August
    Es kam mir vor, als hätte er mir einen Schlag versetzt. Seine Begrüßung schockierte mich weniger als sein Äußeres. Das Gesicht hat sich kaum verändert. Die grauen Haare sind kurz geschoren, wodurch die Form seines Schädels sichtbar wird. Er hat abgenommen, und seine Züge, die früher eher grob waren, strahlen jetzt fast eine strenge Schönheit aus. Aber der Gesichtsausdruck ist immer noch derselbe: lauernd, latent feindselig und dennoch irgendwie humorvoll, wie ein Troll.
    »Da staunst du, dass du mich hier triffst, was?«, sagte er. »Ich hab schon gehört, dass du wieder in Lansquenet bist. Die Schlampe hat mich ja sicher nicht erwähnt. Tut sie nie. Wäre schlecht für’s Geschäft.«
    Ich wich seinem Blick nicht aus. »Wenn du von Joséphine sprichst, nein, sie hat dich nicht erwähnt.«
    Er lachte rau und zündete sich eine Gauloise an. »Sie will nicht, dass ich hier drinnen rauche. Und trinken soll ich auch nicht. Whisky?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein, danke.«
    Aus einer Flasche, die auf der Theke stand, goss er sich einen Doppelten ein. »Ich habe das alles hier aus dem Nichts geschaffen«, sagte er. »Sechs lange Jahre habe ich dafür geschuftet, damit es wie ein Uhrwerk läuft. Und sie tut so, als wäre es ihr Werk. Als wäre sie mir nichts schuldig. Warum auch? Ich habe ihr nur meinen Namen gegeben, mich um sie gekümmert, ihre Klamotten bezahlt, ihre Launen ertragen. Aber kaum hatten wir eine schwierige Phase, da wirft sie mich raus wie einen streunenden Hund.« Mit einem bitteren Lachen blies er den Rauch aus den Nasenlöchern. »Wahrscheinlich habe ich das dir zu verdanken. Du hast ihr diese Flausen in den Kopf gesetzt. Na, ich hoffe, du bist zufrieden.« Er trank einen Schluck Whisky. »Weil ich genau da bin, wo du mich haben wolltest.«
    »Was ist passiert?«, fragte ich, ohne den Blick von ihm zu nehmen.
    »Geht dich gar nichts an. Oder willst du mich zu einem deiner Hilfsprojekte machen, weil ich jetzt nur noch ein halber Mann bin?«
    Ich studierte seine Farben. Sie waren trübe wie immer, durchsetzt von wütenden Blitzen aus rauchigem Rot und dunklem Orange. Und im Rauch gab es Anzeichen von Leben: eine Abfolge von Bildern über einer Theke, etwas Brennendes am Straßenrand. Das war mein Ritter der Kelche, begriff ich: dieser zornige, gebrochene, verächtliche Mann.
    »Du hattest doch schon immer was für die Opfer übrig. Für die hoffnungslosen Fälle. Die Flussratten. Armande, diese alte Kuh. Und Joséphine.« Sein Lachen klang jetzt richtig gemein. »Du warst auch verblüfft, als du sie gesehen hast, stimmt’s? Wer hätte ihr das zugetraut? Wirft mich aus meinem eigenen Haus, droht mir damit, die Polizei zu rufen, und dann, als ich sechs Monate später zurückkomme, um ein paar Sachen zu holen, lebt sie mit diesem Rotschopf zusammen, und er baut ihr ein Boot. Und schwanger ist sie auch noch. Ah, glückliche Zeiten.« Er zog an seiner Gauloise und kippte den Rest Whisky hinunter.

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