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Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Titel: Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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sie.
    »O-okay.« Er betrachtete sie von der Seite, unter seinen Haaren hindurch, die ihm in die Stirn hingen. Das Stottern hatte er ja eigentlich abgelegt, aber jetzt kam es wieder zum Vorschein. »Bist d-du von zu Hause ausgezogen?«
    Alyssa zuckte die Achseln. »Ich bin ja schon fast achtzehn. Ich kann machen, was ich will.«
    Ich sah Luc an den Augen an, dass er richtig neidisch wurde. Von Caroline Clairmont wegzukommen wird bestimmt nicht leicht für ihn. Er ist ja älter als Alyssa und besitzt ein eigenes Haus, aber es kostet ihn enorm viel Kraft, aus dem übergroßen Schatten seiner Mutter zu treten. Manche Leute schaffen das nie – glaub mir, Luc, ich kenne mich da aus.
    Er warf mir einen verlegenen Blick zu. »Meine Mutter sagt, du warst bei Reynaud.«
    »Ja«, antwortete ich. »Aber er war nicht zu Hause.«
    »Genau das ist das Problem«, sagte Luc. »Seit gestern hat ihn niemand mehr gesehen. Meine M-Mutter ist gerade noch einmal bei ihm vorbeigegangen. Er ist nicht da. Sie hat Père Henri angerufen. Père Henri hat ihn auch nicht gesehen. Sie hat gedacht, er ist vielleicht hier b-bei dir.« Das Stottergespenst hatte ihn wieder voll im Griff. Man konnte Luc ansehen, dass er sich nicht wohl fühlte in seiner Haut. »Ich wollte dich eigentlich nicht fragen, aber so langsam machen sich alle Sorgen.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe ihn auch nicht gesehen.«
    »Oh. Wo sollte er denn hingehen? Es passt doch gar nicht zu ihm, einfach so zu verschwinden und keinem Bescheid zu sagen. Das ist merkwürdig.«
    So merkwürdig ist es gar nicht. Ich weiß genau, was sich in Reynaud abspielt. Wir haben es so oft versucht, er und ich, und Lansquenet weist uns noch immer ab. Reynaud und ich, wir sind gar nicht so verschieden. Wir spüren beide den Sog des Schwarzen Autan. Wir beide haben hier schlimme Enttäuschungen und Verrat erlebt. Diese Vision gestern – ich habe sie nicht ernst genommen, dabei habe ich genau gesehen, was los ist, und wahrscheinlich genau in dem Moment, als es passierte.
    »Warum könnte er weggehen?«, sagte ich. »Weil er es nicht mehr aushält. Weil er denkt, er hat euch enttäuscht. Er wollte helfen, aber das hat alles nur noch schlimmer gemacht. Er glaubt, ohne ihn seid ihr besser dran. Und vielleicht hat er ja recht.« Als ich das sagte, wurde mir klar, dass ich nicht nur von Reynaud redete. »Manche Dinge kann man nicht ändern. Das heißt, manchen Leuten kann man einfach nicht helfen. Guter Wille reicht da nicht aus. Jeder Mensch kann nur der sein, der er ist, und nicht das, was andere wollen oder sich von ihm erhoffen.« Ich hörte auf zu reden, weil Luc mich fassungslos anstarrte. »Damit will ich eigentlich nur sagen, dass es manchmal am besten ist, wenn man geht. Ich weiß das. Weggehen ist nämlich meine Spezialität.«
    Luc starrte mich immer noch ungläubig an. »Ist das dein Ernst?«
    »Ich weiß, es ist nicht leicht zu verstehen …«
    »Ach, ich verstehe das genau.« Plötzlich wurde er richtig wütend. »Du bist doch die Königin des Weglaufens, nicht wahr, Vianne? Meine Großmutter hat damals gesagt, du würdest gehen, und das hast du ja dann auch getan. Genau wie Oma es vorhergesagt hat. Aber sie war davon überzeugt, dass du eines Tages wiederkommst. Sie hat dir ja sogar einen Brief geschrieben. Und jetzt bist du wieder hier und sagst, manchmal ist es am besten wegzugehen? Glaubst du, das alles wäre passiert, wenn du hiergeblieben wärst?«
    Verblüfft schaute ich ihn an. War das wirklich Luc Clairmont? Der kleine Luc, der früher so stark gestottert hatte, dass er keinen ganzen Satz herausbrachte? Luc, der heimlich Gedichte von Rimbaud las, wenn seine Mutter in der Kirche war?
    In meinem Kopf kicherte es fröhlich. Dieses Mal war es nicht die Stimme meiner Mutter, auch nicht Zozies Stimme, nein, es war Armande, die sich meldete, und sie kann ich schlecht beiseiteschieben. Gut gemacht, mein Junge. Sag ihr ruhig die Meinung. Manchmal hat selbst eine Hexe das nötig.
    Ich versuchte, die Stimme trotzdem zu ignorieren. »Das ist ungerecht. Ich musste weg«, sagte ich. »Meine Reise war noch nicht zu Ende, Luc. Ich habe versucht, mich selbst zu finden.«
    »Und, hast du es geschafft?« Er war noch immer ganz aufgebracht.
    Ich zuckte die Achseln.
    »Ich glaube nicht.«
    Nachdem er gegangen war und die Kinder in ihren Betten lagen, gingen mir seine Worte noch lange durch den Kopf. Was er gesagt hat, mag lächerlich und unfair sein. Francis Reynaud ist kein Kind mehr. Er hat

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