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Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Titel: Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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garantiert seine Gründe, weshalb er weggegangen ist. Und trotzdem verstummte die innere Stimme nicht, die sagte: Glaubst du, das alles wäre passiert, wenn du hiergeblieben wärst?
    Wenn ich in Lansquenet geblieben wäre, hätte Roux niemals Joséphine verlassen. In der Chocolaterie wäre kein Feuer ausgebrochen. Man hätte Reynaud niemals der Brandstiftung beschuldigt. Wir hätten uns mit den Maghrebinern angefreundet – Inès Bencharki und ihr Bruder hätten in Les Marauds niemals so viel Einfluss gewonnen.
    Ich schrieb Roux eine SMS:
    Sei mir nicht böse – ich wollte nach Hause kommen. Aber ich weiß nicht mal mehr, was zu Hause ist. Hier passiert so viel. Ich versuche, wieder anzurufen. V.
    Würde er die SMS verstehen? Ähnlich wie Rosette lebt Roux nur für den Augenblick. Für die berühmten Was wäre wenn- oder Hätte ich nur-Spielchen hat er nichts übrig. Er fühlt sich keinem Ort verbunden, er kann überall zu Hause sein. Wenn ich doch nur mehr wie Roux wäre und die Vergangenheit ruhen lassen könnte.
    Doch die Vergangenheit ist immer ganz nah bei mir, und stets schwingt da ein Bedauern mit. Als ich klein war, mochte ich Gärten. Die ordentlich gereihten Ringelblumen, die Lavendelbüsche an den Mauern, die gepflegten Gemüsebeete mit Kohl und Lauch, Zwiebeln und Kartoffeln.
    Ja, ich hätte gern einen Garten. Von mir aus auch nur ein paar Kräuter in einem Topf. Meine Mutter hat oft gesagt: »Wozu soll man sich die Mühe machen, Vianne? Man pflanzt die Kräuter und Blumen an, gießt sie, und eines Tages muss man weiterziehen. Dann ist keiner mehr da, der sich um sie kümmert. Warum also überhaupt damit anfangen?«
    Trotzdem habe ich es immer wieder versucht. Eine Geranie auf dem Fensterbrett eingetopft. Eine Eichel unter einer Hecke vergraben, Blumensamen am Straßenrand ausgesät. Und darauf gehofft, dass irgendetwas wächst und ich es vorfinde, wenn ich zurückkomme.
    Ich sehe Reynaud vor mir, wie er in seinem Garten jedes Jahr gegen die Invasion des Löwenzahns kämpft, der ihm überall frech die Zunge herausstreckt: im Blumenbeet, in der Gemüseecke und auch auf dem säuberlich gemähten Rasen. Wenn Reynaud länger wegbleibt, ist sein Garten innerhalb eines Monats zugewuchert. Der Löwenzahn marschiert dann über den Gartenweg, erobert den Rasen und schickt Fallschirmeinheiten in die graue, bewegte Luft. Der Lavendel arbeitet sich spinnenartig durch die Lücken in der Gartenmauer hindurch, und der Efeu dringt mit seinen Ranken zwischen die losen Steine vor. In den Blumenbeeten herrscht die blanke Anarchie. Die Dahlien fallen, und die Prunkwinden stoßen triumphierend in ihre Hörner, während das Unkraut das Regiment übernimmt.
    Reynaud, wo stecken Sie nur?
    Ich versuchte es mit den Karten. Aber sie waren genauso unklar wie neulich schon. Hier kommt wieder der Ritter der Kelche. Die Acht der Kelche. Verzweiflung, Ausschweifung. Ist Reynaud etwa der Ritter der Kelche? Sein Gesicht liegt im Dunkeln, ist undeutlich. Die Karten, die sowieso eher billig waren, sind abgegriffen. Und jetzt kommt seine Partnerin, die Königin der Kelche, und zwischen den beiden sind die Liebenden – Joséphine und Roux? – sowie der Turm, kaputt und bröckelnd. Gefallene Würfel. Zerstörung. Wechsel. Aber wer läutet den Wechsel ein?
    Du. Nur du.

Der Ritter der Kelche

1

    Donnerstag, 26. August
    Ich muss wieder eingeschlafen sein, père, denn ich habe geträumt. Das passiert selten, die Träume sind mir anscheinend abhandengekommen, aber jetzt fielen sie wie ein Schwarm Heuschrecken über mich her, fraßen mich kahl, und die Luft war erfüllt vom Surren ihrer Flügel. Als ich aufwachte, fühlte ich mich ganz zerschlagen. Die Rippen taten mir immer noch weh, meine verletzte Hand war geschwollen und pochte schmerzhaft. Wenn ich doch nur Schmerztabletten eingesteckt hätte! Aber die habe ich natürlich zu Hause gelassen.
    Zu Hause. Ach, was bin ich doch für ein Idiot. Wie konnte ich nur auf die Idee kommen, den Schatten, die mich verfolgen, entfliehen zu wollen und mich wie Vianne Rocher vom Wind treiben zu lassen. Das war ein Riesenfehler, père. Oh, Gott, könnte ich doch nur alles rückgängig machen!
    Um das Gitter herum war wieder das kleine helle Viereck zu sehen. Das bedeutete: Tageslicht. Das Wasser, das als dünnes Rinnsal aus dem Rohr sickerte, erreichte nun schon fast die Stufen, die zur Kellertür führten. Ich aß meine letzten Vorräte auf und versuchte, meine Situation zu evaluieren, die insgesamt nicht

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