Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
ob die Frau mich überhaupt gesehen hatte.
Eines wusste ich allerdings genau. Es war die Frau, die mir gleich nach unserer Ankunft hier aufgefallen war, bei der Kirche, und die ich dann in Les Marauds wiedergesehen hatte. Karim Bencharkis Schwester, deren Namen niemand zu kennen schien, die Frau, deren Schatten auf beide Gemeinden fällt …
Als ich am Tannes entlang wieder nach Hause ging, empfand ich die nächtliche Stille fast als bedrohlich. Grillen und Vögel waren verstummt, und selbst die Frösche quakten nicht mehr.
An solchen Abenden, sagen die Leute hier, fängt der Autan an zu wehen, le vent des fous, der Wind der Verrückten, der an den Fenstern rüttelt, das Getreide vertrocknen lässt und die Menschen am Schlafen hindert. Der Weiße Autan bringt trockene Hitze, der Schwarze Autan bringt Regen und Gewitter. Aber egal, welcher von beiden weht – auf jeden Fall stehen Veränderungen bevor.
Was will ich in Lansquenet? Wieder stellte ich mir diese Frage. Hat der Autan mich hierhergebracht? Und welcher wird es diesmal sein? Der Weiße Autan, der uns wach hält, oder der Schwarze, der uns in den Wahnsinn treibt?
3
Dienstag, 17. August
Vergib mir, Vater, denn ich habe gesündigt. Natürlich sind Sie nicht mehr hier, aber ich muss jemandem beichten, père, und bei dem neuen Priester – Père Henri Lemaître mit seinen Bluejeans und dem gebleichten Zahngrinsen und den fortschrittlichen Ideen – kann ich das unmöglich. Genauso wenig wie beim Bischof. Er glaubt tatsächlich, dass ich den Brand gelegt habe. Vor diesen Leuten will ich nicht knien, père. Lieber gehe ich in die ewige Verdammnis.
Sie haben ja recht, meine Sünde ist der Stolz. Das war mir schon immer klar. Aber ich weiß, Père Henri Lemaître wird Saint-Jérôme zerstören, und da kann ich nicht tatenlos zusehen. Der Mann verwendet PowerPoint in seinen Predigten, du lieber Gott, und er hat den Dorforganisten ersetzt durch Lucie Levalois, die Gitarre spielt. Der Ergebnis mag ihm recht geben – es sind noch nie so viele Leute aus anderen Dörfern zu uns gekommen –, aber ich frage mich, wie Sie das finden würden, père. Sie waren doch immer so genügsam.
Dem Bischof zufolge soll es im Gottesdienst heute mehr um Spaß gehen als um Genügsamkeit. Wir müssen die jungen Menschen ansprechen, sagt er – er selbst ist achtunddreißig, sieben Jahre jünger als ich, und trägt Nike-Turnschuhe unter seiner Robe. Père Henri Lemaître ist sein Schützling, sein Protegé, was bedeutet, dass er nichts falsch machen kann. Deshalb hat der Bischof auch Père Henris Plan zugestimmt, Saint-Jérôme zu modernisieren, samt Bildschirmen für seine PowerPoint-Predigten und dem Vorhaben, unser altes Eichengestühl durch »etwas Zeitgemäßeres« zu ersetzen. Ich vermute, damit will er sagen, dass Eiche nicht zu PowerPoint passt.
In meinen Augen ist das ein großer Verlust, aber mit dieser Klage bin ich in der Minderheit. Caro Clairmont beschwert sich seit Jahren über die Kirchenbänke, die schmal und hart sind (was beides nicht auf Caro zutrifft). Und natürlich wird ihr Mann Georges, wenn das Gestühl entfernt wird, sich die Bänke krallen, sie aufarbeiten und dann zu grotesk übersteigerten Preisen verkaufen, in Bordeaux, an reiche Touristen, die ihr Ferienhaus mit authentischem Mobiliar ausstatten wollen.
Es ist schwer, da nicht wütend zu werden, père. Ich habe mein Leben Lansquenet gewidmet. Und wenn mir das alles weggenommen wird – und noch dazu aus so einem Grund …
Letztlich geht es immer wieder nur um diesen verfluchten Laden. Um die verfluchte Chocolaterie. Was hat es bloß auf sich mit diesem Haus, dass es ständig Probleme macht? Erst Vianne Rocher, dann Bencharkis Schwester. Und selbst jetzt, ausgebrannt und leer, scheint das Haus mit allen Mitteln meinen Sturz herbeiführen zu wollen. Der Bischof ist davon überzeugt, sagt er zu mir, dass nichts und niemand mich mit dem Brand in Verbindung bringt. Heuchler! Sie merken, er sagt nicht, dass er an meine Unschuld glaubt. Und was er sagt, leuchtet ein: Gleichgültig, was die Untersuchungen ergeben, meine Position hier ist auf jeden Fall angekratzt. Also vielleicht eine andere Gemeinde, wo man meine Geschichte nicht kennt.
Diese verfluchte Herablassung. Nein, ich werde nicht still und heimlich verschwinden. Ich weigere mich zu akzeptieren, dass nach allem, was ich für dieses Dorf getan habe, angeblich keiner hier an mich glaubt. Es muss doch irgendetwas geben, was ich tun kann. Eine Geste,
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