Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)
misstrauisch, das weiß ich. Man warnt die Kinder vor uns. Die Art, wie wir uns anziehen, unser Akzent, selbst unsere Essgewohnheiten – alles zeigt, dass wir anders sind und potentiell gefährlich. Ich weiß noch, wie ich Anouk in die Schule gebracht habe, als wir damals nach Lansquenet gekommen sind. Die Mütter haben uns kritisch gemustert und jeden Unterschied genau registriert. Die bunten Kleider, der Laden, das Kind, der fehlende Ehering. Jetzt gehöre ich fast hierher. Aber ich gehöre nicht nach Les Marauds, wo allenthalben unsichtbarer Stolperdraht gespannt ist. Jeder Zentimeter wird hier überwacht, damit man auch ja nicht unbemerkt eine Regel verletzt und aus Versehen eine Sünde begeht.
Aber es gibt hier ein Haus, in dem ich keine Fremde bin, das weiß ich. Vielleicht wegen der Pfirsiche. Oder weil die Al-Djerbas schon hier waren, als Les Marauds noch zu Lansquenet gehörte und kein abgetrenntes Viertel war.
Ich begab mich zu der grünen Tür. Zu meinen Füßen rauschten die Gullys melodisch wie ein ganzes Orchester, die Regenrinnen sprudelten unaufhaltsam. Mir klebten die Haare im Gesicht, und trotz Armandes altem Regenmantel waren mein T-Shirt und meine Jeans völlig durchnässt. Ich klopfte, aber bis Fatima die Tür öffnete, musste ich ewig lange warten – es kam mir jedenfalls so vor. Fatima trug einen mit Pailletten besetzten blauen Kaftan und wirkte ziemlich gestresst. Als sie mich sah, machte sie ein ganz besorgtes Gesicht.
»Vianne! Wie sehen Sie denn aus! Sie sind ja pitschnass.«
Gleich darauf saß ich auf einem Kissen vor dem Kamin, während Yasmina mir Handtücher brachte und Zahra einen Pfefferminztee für mich zubereitete. Omi ruhte im Wohnzimmer auf dem niedrigen Sofa, aus der Küche drangen verlockende Düfte, offenbar wurde gekocht, ich konnte Kokosnuss und Kreuzkümmel und Kardamom riechen und einen gehenden Teig – Brot vermutlich, für das Fastenbrechen heute Abend.
Omi schenkte mir ihr Schildkrötengrinsen. »Du hast versprochen, mir Pralinen zu bringen.«
»Stimmt. Ich warte nur noch auf die Zutaten.«
»Beeil dich lieber, ich lebe nämlich nicht ewig.«
»Aber eine Woche können Sie schon noch durchhalten, oder?«
Omi lachte. »Ich tue mein Bestes. Und warum rennst du bei diesem Regenwetter durch die Gegend, Vianne Rocher?«
Ich erwähnte Inès Bencharki.
»Khee!« Omi klappte ihre zahnlosen Kiefer aufeinander. »Und wieso läufst du ausgerechnet ihr hinterher?«
Ich trank einen Schluck Tee. »Sie ist interessant.«
»Interessant nennst du das? Yar. Ich würde sagen, die Frau bringt nur Ärger.«
»Warum?«
Omi zuckte die Achseln. »Das gehört zu ihr, es ist ihr Wesen. Ich werde dir eine Geschichte erzählen: Ein Skorpion will den Fluss überqueren und überredet einen Wasserbüffel, ihn auf seinem Rücken ans andere Ufer zu tragen. Auf halber Stecke sticht der Skorpion den Büffel. Im Sterben fragt dieser: ›Aber warum? Wenn ich hier sterbe, ertrinkst du doch auch.‹ Und der Skorpion antwortet: ›Ich bin ein Skorpion. Ich dachte, du weißt das, mein Freund.‹«
Ich lächelte. Diese Fabel kannte ich gut. »Und Sie wollen sagen, Inès ist ein Skorpion?«
»Ich will sagen, dass manche Leute lieber sterben, als dass sie aufhören zu stechen«, sagte sie. »Glaub mir, wenn man mit Inès Bencharki Freundschaft schließt, nimmt das kein gutes Ende.«
»Aber warum?«
»Genau das hat der Wasserbüffel auch gefragt.« Wieder zuckte Omi ungeduldig die Achseln. »Es gibt Menschen, denen ist nicht zu helfen, Vianne. Sie hinterlassen eine Spur, die jeden vergiftet, der darauf stößt.«
Glaub mir, Omi, da kenne ich mich aus. Ich habe solche Spuren schon mehrfach gekreuzt. Manche Personen hinterlassen eine Giftspur sogar, wenn sie Gutes im Sinn haben. Es kommt vor, dass ich nachts wach liege und mich frage, ob ich vielleicht auch dazugehöre. Was habe ich mit meiner Begabung wirklich erreicht? Was habe ich der Welt geschenkt? Süße Träume und Illusionen, flüchtige Freuden, unzählige Versprechen. Aber mein Weg ist voller Fehlschläge, voller Schmerz und Enttäuschung. Und glaube ich denn tatsächlich, dass Schokolade irgendetwas verändern kann?
»Omi, ich muss Inès treffen«, sagte ich.
Sie musterte mich eindringlich. »Ja, sieht so aus. Aber warte wenigstens, bis deine Haare trocken sind. Und trink noch einen Schluck Tee.«
Ich gehorchte brav. Der Tee schmeckte gut, er war grün und roch nach Sommer. Und während ich da saß, kam eine schwarze Katze herein,
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