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Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition)

Titel: Himmlische Träume: Die Fortsetzung des Weltbestsellers "Chocolat" (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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aus.
    Ich sagte: »Ich mache einen Morgenspaziergang. Ich wollte Sie nicht erschrecken.«
    Der Rucksack auf meiner Schulter passte natürlich nicht zu meiner Erklärung. Doch ich wollte auf jeden Fall verhindern, dass andere Leute auf uns aufmerksam wurden. Überhaupt – was hatte Sonia hier verloren, am Fluss, ganz allein, um diese Uhrzeit?
    »Sonia, stimmt etwas nicht?«
    Sie gab ein seltsames Geräusch von sich, das tief aus der Kehle zu kommen schien.
    »Ich kann Sie doch nicht einfach so allein lassen. Weiß Ihr Vater, dass Sie hier sind?«
    »Nein«, flüsterte sie.
    Ich dachte an Alyssa. Das war nicht fair. Ich wollte doch nur weg von hier. Mon père, warum muss es immer so schwierig sein? Weshalb legt Gott mir so viele Steine in den Weg?
    Ich bin nicht für Sonia verantwortlich. Ich bin nicht für Alyssa verantwortlich. Ich bin nicht für Inès Bencharki verantwortlich. In den letzten Wochen sind mir so viele unangenehme Dinge passiert, und alles nur, weil ich mich in Sachen eingemischt habe, die mich nichts angehen. Aber jetzt reicht’s. Les Marauds hat seinen eigenen Geistlichen. Soll der sich doch um seine Schäflein kümmern.
    Und dann roch ich das Benzin. Mein Gott, hatte sie sich etwa mit Benzin übergossen?
    »Was machen Sie hier?«, fragte ich schroffer, als ich wollte. »Warum riechen Sie nach Benzin? Wollten Sie sich selbst verbrennen?«
    Sie fing an zu wimmern. »Sie verstehen das nicht …«
    »Wir gehen jetzt zu Ihrem Vater«, verkündete ich und packte sie am Handgelenk. »Hier muss er für Ordnung sorgen.«
    »Nein. Nein!« Sie schüttelte so heftig den Kopf, dass ihr ganzer Körper bebte. Der Benzinkanister, den sie unter dem Kleid versteckt hatte, fiel scheppernd zu Boden.
    Der angestaute Frust der letzten Wochen brach jetzt aus mir hervor. Wut macht mich unbarmherzig. Ich weiß, père. Ich bin darauf auch nicht stolz.
    »Was ist eigentlich mit euch los? Erst Ihre Schwester, dann Sie! Seid ihr alle komplett verrückt geworden? Wollen Sie auch sterben? Glauben Sie tatsächlich, Sie kommen ins Paradies, wenn Sie während des Ramadan sterben?«
    Sie schaute mich mit leeren Augen an. »Ich will nicht sterben.«
    »Was dann?«
    Ihre Antwort war unhörbar.
    »Was dann?«
    Sie zuckte zurück, weil ich so laut schrie.
    »Ich will, dass Inès von hier verschwindet.«
    Schon wieder diese Frau. »Wer ist die überhaupt? Und wie hat sie es geschafft, ganz Les Marauds mit ihrem Irrsinn anzustecken?«, fragte ich. »Moment mal. Wie wollten Sie Inès zwingen, von hier zu verschwinden? Sonia – was wollten Sie anzünden?« Ich deutete auf den Benzinkanister.
    Gütiger Gott. Endlich fiel bei mir der Groschen. Es fühlte sich an, als würde jemand auf meinen Kopf einschlagen. Das Hausboot. Der Benzinkanister. Sonia. Die Schule. Das arabische Graffito. Hure. Die Tat, die meine Welt zum Einsturz gebracht und mich zum Ausgestoßenen gemacht hat, in Les Marauds genauso wie in Lansquenet. Die Tat, die mich meinen guten Ruf und meinen Stolz gekostet hat –
    »Sie haben also das Feuer gelegt«, rief ich. »Warum?«
    »Ich wollte, dass sie von hier abhaut.« Sonias Stimme ließ mich an kleine Metallklammern denken, die in einen Holzbalken gehämmert werden. »Sie soll für immer verschwinden! Sie soll dahin zurück, wo sie hergekommen ist! Eigentlich hätte sie ja gar nicht hierbleiben sollen. Sie ist doch nur wegen der Hochzeit gekommen. Wenn sie weg ist, gehört Karim wieder mir. Aber solange sie da ist …«
    »Sie hätten jemanden umbringen können«, sagte ich. »Inès oder ihre Tochter oder die Leute, die gekommen sind, um zu helfen!«
    Sonia schüttelte den Kopf. »Ich war vorsichtig und habe das Feuer an der Vorderseite des Hauses gelegt. Die Feuerleiter ist hinten. Und ich habe Steine gegen die Fenster geworfen, damit sie aufwachen.«
    Einen Moment lang war ich sprachlos. Also hat Sonia versucht, die Schule abzufackeln – Sonia, die ich immer so gerngehabt habe, die mit den Jungs auf dem Dorfplatz Fußball gespielt und bei Joséphine diabolos getrunken hat.
    »Ist Ihnen überhaupt klar, was Sie da angerichtet haben? Wissen Sie, dass alle mich beschuldigen?«
    »Das tut mir sehr leid.«
    »Ach, und dadurch ist alles wieder gut?« Wie gesagt, Wut lässt mich unbeherrscht werden. Meine Stimme loderte durch die Stille wie ein Feuer. »Brandstiftung, versuchter Mord und außerdem noch falsche Beschuldigungen?«
    Verblüffenderweise fing sie nicht an zu weinen. Damit hätte ich eigentlich gerechnet, père,

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