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Himmlische Wunder

Himmlische Wunder

Titel: Himmlische Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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wahrzunehmen. Oder ihre Versuche, bei mir Bestätigung zu finden.
    Aber Viannes Verlust ist mein Gewinn, und da ich nun sozusagen mittendrin bin, kann ich ganz unauffällig auf hundert verschiedene Arten meinen Einfluss ausüben. Fangen wir an mit den Fähigkeiten, die Vianne so raffiniert unterwandert hat, mit den wunderbaren Waffen namens Wollen und Wünschen.
    Bis jetzt habe ich noch nicht herausgefunden, weshalb Anouk solche Angst hat, diese Waffen einzusetzen. Irgendetwas muss da passiert sein. Etwas, wofür sie sich verantwortlich fühlt. Aber Waffen sind dazu da, dass man sie benutzt, Nanou. Zum Guten oder zum Schlechten. Die Entscheidung darüber triffst du.
    Sie hat noch zu wenig Selbstvertrauen, aber ich habe ihr versichert, dass es nichts schadet, wenn man ab und zu einen kleinen Trick ausprobiert. Vielleicht tut sie es ja im Interesse anderer – so ganz gefällt mir das zwar nicht, aber wir können sie ja auch später von ihrer Selbstlosigkeit kurieren, und dann ist das alles nicht mehr so neu für sie, und wir können uns den elementaren Dingen zuwenden.
    Also, was willst du, Anouk?
    Was willst du wirklich?
    Klar, all die Dinge, die ein Kind sich so wünscht. Sie will gut in der Schule sein, sie will beliebt sein, sie will ihren Feindinnen ein bisschen etwas heimzahlen. Das ist nicht schwer, und wir können also anfangen, mit Menschen zu arbeiten.
    Da ist zum Beispiel Madame Luzeron, die große Ähnlichkeit mit einer traurigen alten Porzellanpuppe hat, mit ihrem bleich gepuderten Gesicht und ihren abgehackten Bewegungen. Sie muss mehr Pralinen kaufen; drei Rumtrüffel pro Woche reichen nicht aus, um unsere Zuwendung zu rechtfertigen.
    Zweitens Laurent, der jeden Tag kommt und stundenlang herumsitzt, aber nur eine Tasse Kaffee trinkt. Er ist eher ein Störfaktor als sonst etwas. Seine Anwesenheit vertreibt andere Leute – vor allem Richard und Mathurin, die sicher auch jeden Tag vorbeischauen würden –, er stiehlt Zuckerstücke aus der Schale und füllt sich damit die Taschen, mit der selbstgerechten Miene eines Mannes, der findet, er sollte für sein Geld auch etwas bekommen.
    Der Nächste ist der fette Nico. Ein erstklassiger Kunde – er kauft bis zu sechs Schachteln pro Woche. Aber Anouk macht sich Sorgen um seinen Gesundheitszustand und ist beunruhigt, weil er schon außer Puste ist, wenn er nur ein paar Stufen hinaufklettert. Er dürfte nicht so dick sein, sagt sie. Gibt es eine Möglichkeit, ihm zu helfen?
    Na ja, Sie und ich wissen, dass man nicht weit kommt, indem man Wünsche erfüllt. Der Weg zu Anouks Herz ist mühsam, aber wenn ich mich nicht sehr täusche, wird die Belohnung für meine Anstrengungen mehr als üppig ausfallen. Bis dahin soll sie sich ruhig amüsieren – wie eine junge Katze, die ihre Krallen an einem Wollknäuel trainiert, als Vorbereitung auf ihre erste Maus.
    Und nun beginnt der Unterricht. Lektion Nummer eins. Mitleidszauber.
    Mit anderen Worten: Puppen.
    Wir basteln die Puppen aus hölzernen Wäscheklammern – das macht wesentlich weniger Dreck als Ton. Anouk trägt sie mit sichherum, zwei in jeder Tasche, und wartet auf den richtigen Augenblick, um sie auszuprobieren.
    Wäscheklammerpuppe Nummer eins: Madame Luzeron. Groß und steif, in einem Kleid aus einem Stückchen Taft, zusammengebunden mit störrischem Geschenkband. Ihre Haare sind aus Baumwolle. Kleine schwarze Schuhe, dunkler Schal. Das Gesicht ist mit Filzstift aufgemalt – Nanou schneidet immer Grimassen, wenn sie versucht, den Ausdruck treffend hinzubekommen –, und es gibt sogar eine Baumwollversion ihres flauschigen kleinen Hundes, der mit einem Pfeifenreiniger an Madames Gürtel befestigt ist. Das genügt. Und ein Haar von Madame – vorsichtig von ihrem Mantelrücken gezupft – wird die Figur in kürzester Zeit vervollständigen.
    Puppe Nummer zwei ist Anouk selbst. Die kleinen Figuren, die sie macht, sind unglaublich lebensecht. Die hier hat Anouks Locken und ein Kleid aus einem gelben Stoffrest. Und Pantoufle, aus grauer Wolle, sitzt auf ihrer Schulter.
    Puppe Nummer drei ist Thierry Le Tresset, samt Handy.
    Die vierte Puppe ist Vianne Rocher. Sie trägt ein knallrotes Partykleid und nicht ihre üblichen schwarzen Sachen. Ich habe bisher nur einmal erlebt, dass sie etwas Rotes anhatte. Aber in Anouks Vorstellung trägt ihre Mutter Rot, die Farbe des Lebens, der Liebe und der Magie. Sehr interessant. Das kann ich sicher noch mal verwenden. Aber erst später, wenn der richtige Zeitpunkt

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