Himmlische Wunder
ihr natürlich auch den Rest erzählen – wie wir nachLansquenet-sous-Tannes kamen, am Anfang der Fastenzeit, und wie wir direkt bei der Kirche unsere Chocolaterie eröffnet haben, und von dem Priester, der uns hasste, und von allen unseren Freunden und von den Menschen am Fluss, von Roux und Armande, die genauso gestorben ist, wie sie gelebt hat, ohne Bedauern und ohne Abschied und mit dem Geschmack von Schokolade im Mund.
Ich glaube, ich hätte ihr das alles gar nicht erzählen dürfen, aber bei Zozie fällt es mir ganz schwer, nicht zu reden. Und außerdem arbeitet sie ja für uns. Sie ist auf unserer Seite. Sie versteht, was ich sage.
»Ich habe die Schule gehasst«, hat sie mir gestern erzählt. »Ich habe die anderen Kinder gehasst. Und die Lehrer habe ich auch gehasst. Diese ganzen Leute, die dachten, ich bin ein Freak, und die nicht neben mir sitzen wollten, wegen der Kräuter und dem Zeug, das mir meine Mutter immer in die Taschen gesteckt hat. Asafoetida – meine Güte, wie das stinkt! – und Patschuli, weil das angeblich spirituell ist, und Drachenblut, das überall rote Flecken hinterlässt. Die anderen Kinder haben mich natürlich ausgelacht und gesagt, ich hätte Nissen und würde stinken. Und die Lehrer ließen sich auch hineinziehen, und eine Frau – sie hieß Mrs Fuller – hat mir sogar einen Vortrag über Körperpflege gehalten –«
»Das ist gemein!«
Zozie grinste. »Ich hab’s ihnen heimgezahlt.«
»Wie?«
»Das erzähle ich dir ein andermal. Die Sache ist die, Nanou – ich habe lange gedacht, es ist meine Schuld. Weil ich tatsächlich ein Freak bin. Das habe ich gedacht – und dass es nie besser wird.«
»Aber du bist doch so klug – und du siehst toll aus –«
»Damals hätte ich nicht im Traum gedacht, dass ich klug bin oder toll aussehe. Ich dachte, ich bin nicht gut genug für die andern, nicht ordentlich genug, nicht nett genug. Ich habe nie meine Hausaufgaben gemacht. Ich dachte immer, es sind sowieso alle besser als ich. Die ganze Zeit habe ich mit Mindy geredet –«
»Mit deiner unsichtbaren Freundin –«
»Ja, und die anderen haben natürlich darüber gelacht. Aber zudem Zeitpunkt spielte es fast schon keine Rolle mehr, was ich mache. Sie hätten mich bei allem ausgelacht.«
Sie schwieg. Ich schaute sie an und versuchte sie mir vorzustellen, wie sie damals war. Ohne dieses Selbstvertrauen, ohne ihre Schönheit und ihren eleganten Stil.
»Das Problem bei der Schönheit ist, dass sie in Wirklichkeit mit dem Aussehen gar nicht viel zu tun hat«, fuhr Zozie fort. »Sie ist hier drin –« Sie tippte sich an den Kopf. »Es ist die Art, wie man geht, wie man redet, wie man denkt – es kommt darauf an, ob du so herumläufst –«
Und dann tat sie etwas, was mich richtig erschreckte. Sie veränderte ihr Äußeres. Sie zog keine Grimasse oder so was, nein, sie ließ die Schultern sacken und wandte den Blick ab, ihre Mundwinkel gingen nach unten, und sie machte, dass ihre Haare wie ein schlaffer Vorhang herunterhingen, und auf einmal war sie eine völlig andere Frau, in Zozies Kleidern, nicht hässlich, jedenfalls nicht richtig, aber eine Frau, nach der man sich bestimmt nicht umdrehen würde und die man vergessen hatte, sobald sie außer Sichtweite war.
»– oder so. « Sie schüttelte die Haare und straffte sich, und schon war sie wieder Zozie, die geniale Zozie mit dem klimpernden Armband und dem schwarz-gelben Bauernrock, den Haaren mit den pinkfarbenen Strähnchen und den knallgelben Plateauschuhen aus Lackleder, die bei jeder anderen Frau komisch ausgesehen hätten, aber bei ihr sehen sie toll aus, weil sie Zozie ist und ihr einfach alles steht.
»Wahnsinn«, sagte ich. »Kannst du mir zeigen, wie das geht?«
Sie lachte. »Hab ich doch gerade getan.«
»Es hat ausgesehen wie – Zauberei«, sagte ich und wurde rot.
»Zaubern ist meistens ganz einfach«, sagte Zozie nüchtern. Wenn irgendjemand anderes das gesagt hätte, dann hätte ich gedacht, sie oder er macht sich über mich lustig. Aber bei Zozie ist das nicht so.
»Zauberei gibt es nicht«, sagte ich.
»Dann nimm ein anderes Wort dafür.« Sie zuckte die Achseln.»Nenn es Haltung, wenn du willst. Oder Charisma oder Chuzpe oder Glamour oder Charme. Eigentlich geht es nur darum, dass man aufrecht steht, den Menschen in die Augen schaut, ihnen ein Killerlächeln schenkt und sagt: Verpiss dich, ich bin super.«
Ich musste lachen – nicht nur über Zozies Wortwahl. »Ich würde das auch
Weitere Kostenlose Bücher