Hinreißend untot
wissen: Wenn man sich Macht lieh, bekam man irgendwann die Rechnung präsentiert. Es gefiel mir nicht, keine Ahnung zu haben, wie die Rechnung aussah und wer sie schickte.
»Warum greifen uns die Ritter an?«, fragte ich und hoffte, dass es eine andere Lösung gab – irgendeine. »Wir haben ihnen doch nichts getan!« Vielleicht deutete ich die Situation falsch. Vielleicht versuchte die innere Verteidigung des Kasinos, die Magier für uns zu erledigen. In dem Fall brauchten wir nur aus dem Weg zu gehen.
Pritkin nahm mir diese Hoffnung. »Andrew und Stephan haben Waffen im Innern des Kasinos gezückt und damit die automatische Verteidigung ausgelöst. Ich habe nicht reagiert, und deshalb hätten wir eigentlich nicht in Gefahr geraten sollen, aber sie kamen zu nahe. Die Verteidigung hat uns mit den Aggressoren verwechselt, und deshalb nimmt sie uns ebenfalls aufs Korn. Bringen Sie uns endlich weg!«
Mir blieb keine Zeit zu erklären, was ich meiner neuen Macht gegenüber empfand, denn ich musste einem Speer ausweichen, den einer der Ritter weiter hinten im Flur warf. Ich sprang zur Seite, und er bohrte sich genau dort in den Boden, wo ich gerade gestanden hatte – kleine bemalte Betonsplitter stoben zu mir auf. Ich fühlte, wie mir etwas Warmes über die linke Wange lief, tastete mit einer zitternden Hand danach und sah Blut an den Fingern. Der Zauber auf meinem Rücken rührte sich noch immer nicht. Ich starrte fassungslos auf meine blutverschmierte Hand. So viel zum übernatürlichen Schutz.
»Na los!«, drängte Pritkin.
»Ich kann nicht!« Ich war bereit, es mir anders zu überlegen, aber nur dann, wenn akute Lebensgefahr bestand. Wenn mir anschließend jemand wegen London eine Rechnung schickte, so konnte ich mit Fug und Recht behaupten, dass mir keine andere Wahl geblieben war. Eine solche Entschuldigung hatte ich nicht, wenn ich die Macht jetzt benutzte. Wenn eben möglich wollte ich vermeiden, jemand anders mein Leben zu verdanken. In einem magischen Kontext konnte eine solche Schuld eine verdammt üble Sache sein. Pritkin hätte mir vielleicht widersprochen, aber seine Aufmerksamkeit galt den angesengten Rittern, die inzwischen wieder auf die Beine kamen. Er schickte sein fliegendes Arsenal in die Menge, und die hin- und herschwingenden Klingen gaben den Rüstungen neue Ziele. Ich fügte dem Durcheinander meine Dolche hinzu, gerade rechtzeitig: Sie erledigten einen Streitkolben, der auf Pritkins Kopf zielte. Er hatte nichts davon bemerkt, weil er damit beschäftigt gewesen war, mit dem Schwert einen aus der anderen Richtung kommenden Spieß abzuwehren. Als ich Pritkin zum letzten Mal bei einem Kampf beobachtet hatte, schien er Freude daran gefunden zu haben. Diesmal zeigten sich keine derartigen Gefühle in seinem Gesicht. Vielleicht hatte das halb abgeschnittene Ohr etwas damit zu tun. Ich sah mich nach einem Ausweg um, aber es schien keinen zu geben. Ein Minenfeld aus Glassplittern umgab die rückwärtige Treppe, doch ein nennenswertes Hindernis war es eigentlich nicht. Meine nackten Füße wären bestimmt nicht begeistert gewesen, aber Pritkin konnte das riesige Schwert heben – er hätte eigentlich in der Lage sein müssen, mich zu tragen. Andererseits … Wie sollte er mich tragen und gleichzeitig gegen die Ritter zwischen uns und jenem Teil des Flurs kämpfen? Ähnliches galt für die Tür zur Küche. Eine gefallene Rüstung, die von einem meiner Dolche zerlegt wurde, und drei stehende Ritter blockierten den Weg.
»Gibt es eine verborgene Treppe?«, fragte Pritkin mit einer Stimme, deren Ruhe fehl am Platz wirkte. »Diese Burschen dürften Schwierigkeiten mit den Stufen haben.«
»Woher soll ich das wissen?« Ich sah mich um, doch ein Ritter mit einer scheußlich aussehenden doppelköpfigen Axt zog meinen Blick auf sich. Alphonse, der Waffen aller Art sammelte, hatte ein ebenso beschaffenes Exemplar in seinem Sicherheitszimmer. Allein an der Wand hängend hatte es bedrohlich genug gewirkt, und jetzt – nahe genug, um Pritkin oder mir den Kopf abzuschlagen – sah die Axt noch viel schlimmer aus. »Überprüfen Sie die Wandteppiche!« Pritkin huschte nach vorn und schlug nach den Beinen des Ritters. »Vielleicht befindet sich eine geheime Tür dahinter!« Seine Klinge erledigte ein Knie des Angreifers und ließ ihn zu Boden fallen. Aber er kam weiter auf uns zu, zog sich mit den Armen und trat mit dem anderen Bein. Was noch beunruhigender war: Das abgetrennte Glied kroch hinter ihm über den
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