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Hinter blinden Fenstern

Hinter blinden Fenstern

Titel: Hinter blinden Fenstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Big Bert.«
    Fallnik hielt Gregorian die Haustür auf. Sie traten in einen kühlen trockenen Morgen hinaus.
    »Wenn die bei uns eine Bombe in der U7 hochgehen lassen«, sagte Fallnik und hielt Ausschau. Auf der Riesenfeldstraße fuhren die Autos Stoßstange an Stoßstange. »Weißt du, was dann ist? Großes Geschrei ist dann. Und zwar nicht nur da unten, wo wir alle verrecken, wenn wir grade drinsitzen, das Geschrei ist hier oben. Im Rathaus. Bei der Polizei. Warum? Weil’s in der U-Bahn keine Kameras gibt! Ist dir das klar, Big Bert?«
    Gregorian nickte und wußte nicht, wieso.
    »Sechzig Kameras im Hauptbahnhof. Sechshundert bei den Verkehrsbetrieben insgesamt, sechshundert! Aber keine Kameras in den U-Bahnen. Wollen die Verkehrsbetriebe nicht, halten die für übertrieben. Die meinen, das wär zu Big-Brother-mäßig, verstehst du, Big Bert? Die lehnen das ab. Gegen den Willen der Polizei. Zum Glück hat die Polizei ihre eigenen Kameras und Systeme, die unsere Sicherheit garantieren. Da drüben steht die Kiste. Wieder vergessen, wo ich sie gestern geparkt hab. Alzheimer wahrscheinlich. Servus.«
    Bevor Gregorian den Gruß erwidern konnte, rannte Fallnik auf die Fußgängerampel zu und tauchte in einem Pulk von Passanten unter. Erleichtert und mißgestimmt wischte Gregorian sich über die Stirn. Wo er seinen Wagen hingestellt hatte, wußte er ebenfalls nicht mehr. Seit zwei Wochen war er nicht damit gefahren.
    In einem Drogeriemarkt kaufte er zwei Zehnerpackungen Toilettenpapier. Anschließend eilte er nach Hause, kauerte sich in die Badewanne, ließ minutenlang kaltes Wasser über seinen Körper laufen und begann, seinen Plan zu strukturieren, mit dessen Entwicklung er in der Plinganser Straße zahllose Nächte verbracht hatte und an dessen Richtigkeit, Unvermeidlichkeit und einzigartiger Bedeutung er nicht den geringsten Zweifel hegte. Zumindest seit mehr als einem Jahr nicht mehr, seit er in die Wohnung in Milbertshofen gezogen war.

8 Vielleicht vier Tränen im Fahrtwind
    A nfang Februar fuhr er ihr zum erstenmal in seinem gerade gekauften, gebrauchten Opel Vectra hinterher. Auch im dichtesten Verkehr war ihr rotes Cabrio nicht zu übersehen, und wenn er sie einmal aus den Augen verlor, folgte er seiner Ahnung.
    Nie zuvor hatte er über seine Ahnung oder etwas Ähnliches nachgedacht. Die Dinge passierten oder sie passierten nicht. Er stellte sich etwas vor und wurde enttäuscht, weil seine Vorstellung an der Wirklichkeit zerschellte wie die Titanic am Eisberg. Immer war er sofort einverstanden gewesen.
    Logisch ist, was geschieht, dachte er voller Überzeugung, idiotisch bin nur ich.
    So wie er sich als Dreizehnjähriger im Krankenhaus gewünscht hatte, sein Vater möge zur Tür hereinkommen und ihn bitten, ihm zu verzeihen, und ihm vielleicht einen Apfel mitbringen, oder Stachelbeeren, für die er sich verzehrte. Was sollte an so einem Wunsch logisch sein? Hinterher trommelte er mit dem Kopf aufs Kissen und weinte vor Wut auf sein blödes Gedenke und schlug mit der Gipshand gegen das Bettgestell und schrie und wurde von der Schwester beschimpft. Das war logisch. Mein Vater hat recht, dachte er dann in der Nacht mit grauenhaften Schmerzen im Arm und tief unter der Bettdecke vergraben, ich bin unnormal und er ist normal, und das war logisch.
    Über etwas wie eine Ahnung, sein Standpunkt könne ein großer Irrtum sein, hätte er als junger Mann lauthals und verächtlich gelacht.
    Auch ahnte er erst kurz vor seinem Tod, daß er zwar Detektiv geworden war, um unter Menschen zu sein – und diese Vorstellung erschien ihm im nachhinein plötzlich völlig unnormal –, daß er jedoch nie unter den Menschen angekommen war. Allenfalls ein einziges Mal und für sehr kurze Zeit. Vielleicht begnügte er sich deshalb bei seiner Gegenwehr im letzten Moment mit dem Heben der rechten, verunstalteten Hand und einem kindlichen Ausruf, für den er sich dann nicht mehr zu schämen brauchte.
    Bei der Verfolgung Clarissas aber versetzte ihn seine neuentdeckte Ahnung in eine Art Rauschzustand.
    Egal, ob sie von der vierspurigen Leopoldstraße überraschend in die Hohenzollernstraße einbog, wo sie ihren Wagen halb auf dem Bürgersteig parkte und wahllos durch Boutiquen bummelte. Egal, ob sie mit neunzig Stundenkilometern durch den Altstadttunnel raste und im dichten Verkehr ständig die Spur wechselte. Immer fand er sie wieder, zuerst ihr Auto, dann sie selbst, wenn sie ausgestiegen war. Immer blieb er ihr auf den Fersen, ohne daß

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