Hinter blinden Fenstern
Ihren Club zu kommen?«
»Ja.«
»Hat er sich daran gehalten?«
»Ja.«
»Warum?«
»Bitte?«
»Warum hat er sich daran gehalten?«
Sie schlug mit einer schnellen, unerwarteten Geste durch die Luft.
»Weil er kapiert hat, daß es vorbei ist, ein für allemal.«
»Was war vorbei?«
»Sein Gastrecht.« Clarissa stand auf und nickte zur Tür hin.
Fischer blieb sitzen. »Aber für einige Zeit hatte er Gastrecht«, sagte er. »Er stand Ihnen nach dem Tod Ihrer Freundin zur Seite. Dann schickten Sie ihn weg, und er gehorchte. Doch er hielt es ohne Sie nicht aus und suchte wieder Ihre Nähe. Und jetzt ist er verschwunden. Er hat seine Wohnung nicht freiwillig verlassen. Er hat Ihnen nachspioniert, er hat Ihnen aufgelauert. Ich glaube nicht, daß er geschickt genug war, sich nicht zu verraten.«
»Ich habe nichts bemerkt, und ich kümmere mich auch nicht um andere Leute auf der Straße.«
»Ich vermute«, sagte Fischer, »Sie haben ihn bemerkt und zur Rede gestellt. Und ich vermute auch, Sie wissen, warum er sich nicht in seiner Wohnung aufhält.«
»Nein.«
»Morgen steht fest, ob Fingerabdrücke von Ihnen in der Wohnung sind.«
»Da können Sie lange suchen.« Sie ging in den Flur hinaus, wandte sich um, wartete einen Moment und riß dann die Wohnungstür auf.
Zu vieles von dem, was er gerade gehört hatte, verwirrte ihn, steigerte sein Mißtrauen weiter und blieb ihm rätselhaft. Einerseits versuchte sie ihn auszutricksen, das war offensichtlich.
Andererseits spielte sie vollkommen unverhüllt eine Rolle, die nicht zur abgeklärten Lügnerin paßte. Die Geschichte ihrer Augen, dachte Polonius Fischer, stimmte mit der Geschichte ihrer Hände nicht überein. Und ihr Lächeln verwandelte ihr Gesicht jedesmal in das Gesicht einer anderen, anmutigen, schutzlosen Frau.
Fischer schien es, falls es ihm nicht gelänge, diese zweite Frau zu enttarnen, dann würde seine Akte unvollständig und ohne gerichtsverwertbare Beweise bleiben.
An der Wohnungstür tat er etwas für ihn Ungewöhnliches.
Er schwieg eine Minute lang.
Clarissa starrte ihm ins Gesicht und wußte nicht, was er mit seinem stummen Dastehen bezweckte. Er sah sie mit verschlossener Miene an. Dann drehte er noch einmal den Kopf und betrachtete den Flur, ohne daß deutlich wurde, worauf genau er sein Augenmerk richtete. Schließlich wiegte er den Kopf hin und her und bleckte die Zähne. Beinah hätte Clarissa aufgelacht. Aber sie blies nur Luft durch die Nase und schüttelte den Kopf.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?« sagte sie.
Da war sie wieder, dachte Fischer, die andere Frau. »Kennen Sie den Namen Josef Nest?«
Clarissa zögerte, bevor sie antwortete. »Nein.«
»So heißt der Tote, der in Ihrem Müllhaus gefunden wurde.«
»War er ein Freund von Gregorian?« Sie lächelte, wie vorhin.
»Sie haben ihn auf dem Foto, das Ihnen meine Kolleginnen neulich gezeigt haben, nicht wiedererkannt.«
»Nein.«
»Wann findet die Beerdigung Ihres Mannes statt?« fragte Fischer ohne Unterton, wie nebenbei.
»Was soll denn die Frage?« Sie hatte laut gesprochen und senkte die Stimme im stillen Treppenhaus. »Sie sind doch schuld, daß ich ihn noch nicht beerdigen durfte. Er liegt in der Gerichtsmedizin, und Sie geben seine Leiche nicht frei.«
»Sie ist seit gestern freigegeben.«
»Und wieso sagt mir das keiner?« Wieder fegte sie mit der linken Hand durch die Luft. Im selben Moment ging das Licht im Treppenhaus aus. »Und wieso krieg ich keine Antwort?« blaffte Clarissa.
Fischer drückte auf den Knopf neben der Tür. »Sie werden heute vormittag offiziell informiert.« In Wahrheit, dachte Fischer, hatte Valerie vergessen anzurufen.
Ohne ihn noch einmal anzusehen, drängte Clarissa sich an ihm vorbei in die Wohnung und schlug die Tür zu.
Als Polonius Fischer den ersten Stock erreichte, ertönte über ihm eine weiche, behutsam laute Stimme.
»Hey, hey.« Oben beugte Clarissa sich übers Geländer. Die Haare fielen ihr über die Schulter und leuchteten eigenartig im matten Licht. »Sie sollten Ihre Haare länger wachsen lassen. Und Sie müssen aufpassen, daß Sie nicht eine zu starke Tönung verwenden. Dann sehen Sie perfekt aus. Viel zu schön für Ihren Beruf.«
Sie lächelte, und Fischer bildete sich ein, er würde sie kaum wiedererkennen. Wortlos ging er weiter. Wenn er sich nicht täuschte, hatte sie den Arm gehoben und ihm hinterhergewinkt.
Es war ihr schwergefallen, ihn nicht anzurufen.
»Ist was passiert?« fragte Fischer.
Seit
Weitere Kostenlose Bücher