Hinter dem Horizont: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
waren derart beängstigend, dass Gleb seine Beunruhigung nur mit Mühe verbergen konnte. Aurora seufzte erschrocken auf und schaute den Jungen fragend an. Gleb hob die Schultern. So etwas hatte er noch nie gesehen.
Die in der Kabine Versammelten erschraken, als plötzlich Tarans Stimme aus dem Lautsprecher schepperte.
»Direkt vor uns liegt Tscherepowez. Wir haben anscheinend eine Abzweigung verpasst und fahren von Norden her auf die Stadt zu.«
Für einen Augenblick tat sich ein Riss in dem wattigen Schleier auf und gab den Blick auf einen einsamen Fabrikschlot frei.
Eine Stadt! Der Junge jubelte im Stillen. Die erste größere Stadt, auf die sie stießen. Vielleicht gab es dort hinter dem Nebel noch Leben?
Doch aus dem Gang dringender Brandgeruch versetzte den vagen Hoffnungen sogleich wieder einen Dämpfer.
»Belüftungsventile schließen! Das ist Rauch!«
Die hermetische Abdichtung der Mannschaftsräume nahm nur wenige Sekunden in Anspruch. Nach kurzer Beratung fasste man den Beschluss, keine Zeit für einen Umweg zu verschwenden, sondern direkt durch die Stadt zu fahren. Schließlich wollte man auch der Ursache für die Brände auf den Grund gehen. Ein Feuer entsteht schließlich nicht aus dem Nichts. Vielleicht steckten ja doch Überlebende dahinter?
Nachdem der Raketentruck in langsamer Fahrt in die Smogglocke eingetaucht war, klemmte sich die ganze Besatzung hinter die Bullaugen, um in den qualmenden Ruinen nach Spuren von Leben Ausschau zu halten. Doch weit gefehlt … Überall bot sich dasselbe Bild der Verwüstung. Auf der Straße ausgebrannte Autowracks, links und rechts halb eingestürzte Lagerhallen.
Es war unmöglich, auf direktem Weg in die Wohnviertel zu gelangen. Sie mussten zuerst durchs Industriegebiet . Migalytsch, der vor dem Krieg einmal dienstlich in Tscherepowez gewesen war, erinnerte sich noch an den Namen des Stadtbezirks.
»Eine Stahlkocher- und Chemikerstadt«, verkündete der Alte stolz, während er das von Explosionskratern zerfurchte Gelände betrachtete. »Ein riesiges Industriezentrum. Sewerstal, Asot, Ammofos – allein diese drei Namen sprechen für sich. Ich weiß es noch wie heute: Wenn du mit der Bahn nach Tscherepowez kommst und der Zug sich langsam dem Bahnhof nähert, zieht ein Schornstein nach dem anderen am Fenster vorbei – und alle munter am rauchen. Herrlich!«
»Ja ja, nur dass sie auch herrlich viel Dreck in die Luft gepustet haben«, dozierte Aurora. »Kohlendioxid, Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid, Phenol, Formaldehyd – was Mendelejews Periodensystem eben so hergibt.«
»Nicht zu vergessen die Endprodukte«, fuhr Migalytsch fort. »Ammoniak, Salpeter-, Phosphor- und Schwefelsäure. Wenn die Lagertanks bombardiert wurden, ist die ganze Gegend mit diesem Cocktail verseucht.«
»Der Qualm kommt anscheinend nicht von offenen Bränden«, mutmaßte Taran. »Die Chemikalien schwelen eher. Wie Torf nach einem Moorbrand.«
»Unter dem Schnee? Bis heute?« Sitting Bull betrachtete skeptisch die dampfenden Ruinen.
»Der Schnee liegt ja nur oben«, erläuterte Migalytsch. »Aber besonders im Falle von komplexen Fertigungslinien können sich die Werkshallen über mehrere unterirdische Etagen erstrecken. Das geht so weit runter, dass man sich glatt verlaufen könnte. Richtige Katakomben …«
Während die Besatzung locker plauderte, durchquerte die »Ameise« den Großteil des weitläufigen Geländes. So weit das Auge reichte – nichts als öde verbrannte Flächen und zerstörte Konstruktionen aus Stahlbeton. Das Dosimeter am Armaturenbrett meckerte hin und wieder, doch auch dem in Atomphysik unkundigen Sitting Bull war klar, dass in Tscherepowez keine große Kernexplosion gewütet hatte, sondern die Fabriken durch gezielte Luftangriffe zerstört worden waren.
An einer Weggabelung bog der Truck in eine nach Süden führende, breite Schneise ein – die ehemalige Stahlkocher-Straße. Die Sicht wurde allmählich ein wenig besser, doch auch hier war der Blick aus dem Fenster deprimierend: Geschäfte mit kaputten Schaufensterscheiben, mit Unkraut überwucherte Grünanlagen … Die Häuser waren übel herunterkommen, zeigten aber keinerlei Spuren von Bombenangriffen. Auch auf den verschneiten Straßen der verlassenen Wohnviertel waren nirgends Explosionskrater zu sehen. Es drängte sich der Eindruck auf, dass die Bevölkerung die Stadt einfach verlassen hatte, und das Hals über Kopf, um der drohenden ökologischen Katastrophe zu entgehen.
»Keine Menschen, keine
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