Hinter dem Horizont: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
verlassen. Für einen Moment guckte er hinter dem Dieselmotor hervor, lächelte schuldbewusst, hob die Schultern und verschwand wieder hinter dem Gewirr aus Rohren und Kabeln.
»Der Junge wird erwachsen«, kommentierte Dym hinter vorgehaltener Hand. »Er hat gleich überrissen, dass ihn Migalytsch im Moment dringender braucht.«
»Oder er ist immer noch beleidigt.«
Taran setzte die Gasmaske auf, warf einen Routineblick aufs Dosimeter und marschierte zum Ausgang.
Obwohl die Werkshallen völlig ausgestorben und heruntergekommen waren, hatten die Stalker ständig das Gefühl, dass jemand in der Nähe war. Mehrfach rissen sie die Gewehre hoch, als sie plötzlich Geräusche hörten, doch außer ein paar Ratten, die um die Ecke huschten, bekamen sie niemanden zu Gesicht.
Die gewaltigen Ausmaße der stockdunklen Räume trugen zusätzlich zur mulmigen Atmosphäre bei. Die endlosen Gänge schienen sich im Nichts zu verlieren, und die für immer ausgemusterten Werkzeugmaschinen, die links und rechts davon aufgereiht standen, warfen im Licht der Stirnlampen bizarre, spukhafte Schatten.
Eine dick mit Rost überzogene Förderschiene mit einer Girlande von aufgehängten Haltezangen sah aus wie das Skelett eines urzeitlichten Monsters. In Verbindung mit dem Wind, der durch die Halle heulte, wirkte es auf gespenstische Weise lebendig.
Die Suche nach passenden Ersatzteilen in den Maschinen-Labyrinthen drohte zu einer endlosen Geschichte zu werden. Gegen die Feuchtigkeit und den allgegenwärtigen Rost hatte das Metall keine Chance. Gelegentlich fanden die Stalker zerrissene Verpackungen, an denen Reste von Konservierungsöl hafteten, doch leider fehlte stets der wertvolle Inhalt.
»Ich werde das Gefühl nicht los, dass hier schon vor uns jemand zugange war. Kein einziges brauchbares Teil. Wohin man auch schaut – nur Eisenschrott.«
»Ja«, pflichtete Gennadi bei, der eine Selbstgedrehte paffte und versonnen in die Ferne blickte. »Wenn man nur …«
»Wenn man was?«, hakte der Söldner ein.
Der Mutant ließ den Blick über Regale schweifen, in denen alle möglichen Vorrichtungen und Werkzeuge lagerten.
»Ich meine, der Idealfall wäre, wenn wir einen identischen Motor finden würden. Den müssten wir nur einbauen und könnten weiterdüsen. Aber einzelne Teile … Wie willst du die in diesem Chaos finden?«
Taran, der gerade eine Reihe von Prüfständen inspizierte, richtete die Stirnlampe auf seinen Freund.
»Was, sagst du, müssen wir einbauen?«
»Einen kompletten Motor. Na, so ein Ding wie dort hinten in der Ecke.«
Dym ahnte, dass der Söldner das nun genau wissen wollte, ging ein paar Meter zurück zu einem Elektrokarren, der an der Wand vor sich hin rostete, und deutete mit dem Kopf auf die quadratische Ladefläche.
Auf dem Karren stand auf einer vermoderten Holzunterlage ein auf den ersten Blick vollständiger Dieselmotor, der in eine Schutzfolie eingeschlagen war.
»Sieht so ähnlich aus wie unserer, aber diese Röhrchen da sind anders gebogen«, sagte der Mutant und zeigte mit seinem Wurstfinger auf die Kraftstoffleitung.
»Röhrchen …«, brummte Taran augenrollend, schnitt die Folie auf und suchte nach einem Typenschild auf dem Gehäuse. »Bingo!« Der Stalker schnippte triumphierend mit dem Finger. »Nur eine andere Baureihe. Aber das Basismodell ist dasselbe wie beim Motor der ›Ameise‹.« Taran nahm die Gasmaske ab und lächelte dem Mutanten zu. »Gena, du grüne Wundertüte. Was hindert uns daran, das Ding auseinanderzubauen? Dann haben wir doch die Ersatzteile!«
Gut gelaunt machten sich die beiden Stalker auf den Rückweg. Das wertvolle Fundstück beförderten sie auf einem Ziehschlitten, den sie auf die Schnelle aus Paletten zusammengezimmert hatten. Gennadi kam mit dem Provisorium bestens zurecht. Das immense Gewicht hinter seinem Rücken schien er überhaupt nicht zu bemerken. Er runzelte nur hin und wieder die Stirn, wenn die Gurte des »Geschirrs« in seine mächtige Brust einschnitten. Der Söldner sicherte nach hinten ab und behielt stets auch die Vordächer der Werkshallen im Visier.
»Schau mal!«
Ohne langsamer zu werden, zeigte Dym auf eine demolierte Tafel, die aus dem Schnee herausragte. Im Spalt zwischen den beiden Hälften des merkwürdigen Monuments befanden sich zwei vertikal angebrachte Kurbelwellen. Im oberen Teil der Installation konnte man bei genauerem Hinsehen eine verblasste Inschrift erkennen: »Bald 100 Jahre JaMS «.
Doch nicht die Losung aus der Vergangenheit
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