Hinter dem Horizont: Metro 2033-Universum-Roman (German Edition)
sich wie bei einem Erdbeben fühlten. Er jagte den Raketentransporter pfeilgerade und ohne Rücksicht auf Verluste den Hang hinauf. Der alte Kauz hatte nur eines im Sinn: Er musste die Mannschaft so schnell wie möglich aus der radioaktiven Gefahrenzone bringen.
Das malerische Fleckchen Natur hatte sich keineswegs als so paradiesisch erwiesen, wie die Abenteurer im ersten Überschwang erwartet hatten … Migalytsch war schon etwas stutzig geworden, als Taran auf den Vorkriegskarten den See nicht fand.
Natürlich konnte man nicht ausschließen, dass die Landschaft sich in den vergangenen Jahrzehnten verwandelt hatte. Man munkelte sogar von verheerenden Erdbeben, die angeblich tagelang tobten, nachdem die letzten Explosionen des Krieges verhallt waren. Eine Welle von Naturkatastrophen hätte das Gesicht des Planeten durchaus verändern können. Zum Beispiel dadurch, dass Flüsse umgelenkt wurden, fruchtbare Böden trockenfielen, oder umgekehrt Wüsten zu stinkenden Sümpfen wurden. Trotzdem war man eher nicht geneigt, an solch globale Umwälzungen zu glauben … bevor man sie nicht mit eigenen Augen sah.
Eine unverzeihliche Nachlässigkeit des alten Mechanikers hatte die Expedition an den Rand des Scheiterns und zudem Gesundheit und Leben der Besatzung in Gefahr gebracht. Dym hatte zuerst Verdacht geschöpft. Und das auch nur, weil er einen starken Energieschub verspürte, wie es immer geschah, wenn er erhöhter radioaktiver Strahlung ausgesetzt war.
Nachdem er als Erster aus dem Container geklettert war, hatte der Mutant genüsslich an seiner Zigarette gezogen und die eisige Frische der vom See heraufziehenden Brise genossen. Doch anstatt zum Ufer hinunterzusteigen, hatte er plötzlich kehrtgemacht und war zurück ins Fahrzeug geklettert. Die Mannschaft hatte verwundert zugesehen, wie der Hüne in die Fahrerkabine ging, sich kurz über das Armaturenbrett beugte und dann einen unauffälligen Schalter bediente. Als das bedrohliche Knistern des Dosimeters durch die Kajüte schallte, hatte das Naturidyll auf einen Schlag seinen Zauber verloren, und innerhalb der Mannschaft waren hitzige Debatten entbrannt.
In jenem Augenblick hatte Migalytsch eine schlimme Ahnung beschlichen, wie der See entstanden sein könnte. Eine taktische Kernwaffe mit mehreren Kilotonnen Sprengkraft hätte durchaus einen Krater in der Größe des entdeckten Talkessels reißen können. Eine Rakete, die vom Kurs abgekommen war? Möglich. Andererseits, wie war dann die üppige Vegetation an den Hängen zu erklären? Nach einer Kernexplosion hätte man hier nur nackten Boden erwartet, der zu einer monolithischen Kruste verbacken war. Der Mechaniker grübelte unentwegt, während er die »Ameise« durchs schwierige Gelände manövrierte, und ihm dröhnte schon der Kopf vor lauter ungelösten Fragen. Viel schlimmer waren jedoch die bitteren Selbstvorwürfe, die an ihm nagten …
»Ich habe Mist gebaut, Jungs«, murmelten seine ausgetrockneten Lippen immer wieder tonlos. »Verzeiht einem alten Mann.«
Taran hatte Migalytsch mit keinem Wort zum Vorwurf gemacht, dass er vergessen hatte, das Messgerät einzuschalten. Und das ungute Schweigen des Kommandeurs machte dem Mechaniker wesentlich mehr zu schaffen, als ein paar halbherzige Flüche und vorwurfsvolle Blicke der anderen.
Migalytsch verfluchte sich für seine greisenhafte Vergesslichkeit und kurbelte so lange verbissen am Lenkrad, bis die rote Lampe am Armaturenbrett ausging und endlich das nervenaufreibende Knistern des Dosimeters verstummte.
Mit heiserem Gebrüll kämpfte sich der heiß gelaufene Diesel die Anhöhe hinauf, die sich am Kraterrand vor der »Ameise« aufgebaut hatte. Umhüllt von dicken Wolken aus blaugrauem Rauch, blieb der Truck auf einer ebenen Schneise stehen, die sich in der Ferne verlor.
Während der Heide die Radioaktivität in den Räumen maß und jedes Mannschaftsmitglied auf seine Strahlenbelastung untersuchte, gab niemand auch nur einen Mucks von sich. Erst nachdem der Arzt mit einem knappen »Okay« Entwarnung gegeben hatte, seufzte die Besatzung erleichtert auf.
»Manchmal ist es doch ganz praktisch, wenn man groß und grün ist«, witzelte Gennadi, als er den Heiden mit einer wedelnden Handbewegung verscheuchte. »Lass mich mit deinen Messkolben zufrieden, Natanowitsch. Bei mir ist das überflüssig. Mich bringt eher ein Schnupfen um, als eure komischen Millisievert.«
Der Mutant hatte gehofft, mit einer ungezwungenen Unterhaltung die Stimmung aufzulockern, doch
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