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Hinter dem Mond

Hinter dem Mond

Titel: Hinter dem Mond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wäis Kiani
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Gesellschaft übrig. Und während die Mädchen die Tafel abräumten, fing im großen Salon alles wieder von vorn an: Tee, Obst, Süßigkeiten und Sahnetörtchen, die meine Mutter ihnen reichen musste. Es war alles vollkommen sinnlos und widerlich, ein Fress-und-Bedien-Marathon. Meine Mutter wollte sich und alle Gastgeber im Iran oder auf der ganzen Welt übertrumpfen. Mit dem pompösesten Haus, dem größten Salon, den elegantesten Möbeln aus Deutschland, den teuersten Seidenteppichen, den glitzerndsten Kristalllüstern aus Frankreich, dem tollsten Essen und dem kostbarsten Silber. Und natürlich ihrem eigenen perfekten Aussehen, ihrer modischen Kleidung und ihren Brillanten an den Fingern. Und als würde das alles nicht reichen, wollte sie auch noch mit mir angeben und wollte deshalb immer, dass ich den Leuten Tee auf einem Tablett bringe. Jedes Mal gab es denselben Streit, weil ich mich natürlich weigerte und meine Mutter mich anzischte: »Los, Badde, du bist die Tochter des Hauses. Du musst Tee servieren, das machen alle Töchter des Hauses!«
    Und ich tippte mir an die Stirn: »Ich bin aber nicht deine Angestellte. Ich serviere den Arschlöchern keinen Tee.«
    »Das ist unhöflich, wenn es eine so große Tochter gibt und die Kolfat bringt den Tee …«
    »Ist mir doch scheißegal, was unhöflich ist. Ich bringe denen keinen Tee, ich bin hier nicht die Putzfrau. Ich hasse Tee. Teetrinken ist asozial.«
    Sie versuchte, mir das silberne Tablett mit den kleinen gefüllten Teegläsern in die Hand zu drücken, und ich stellte das Tablett wieder ab und ging in mein Zimmer.
    »Warte bloß, du kannst was erleben«, rief sie mir dann zornig auf Deutsch hinterher.
    Dann servierte sie den scheiß Tee selbst, und ich hörte in meinem Zimmer, wie sie sich bei den Gästen entschuldigte, ihre Tochter wäre so schüchtern, deshalb müsse sie den Tee bringen.
    Sie war einfach komplett verrückt geworden.
    Manchmal kam sie dann in mein Zimmer geschossen und zischte: » Badde, setz dich zu uns.«
    »Ich setz mich nicht dazu, was soll ich mich langweilen bei den Arschlöchern?«
    »Die fragen die ganze Zeit, wo du bist, badde.«
    »Die sollen sich verpissen.«
    Meine Mutter holte dann aus, ich duckte mich, sie lief wutrot an und verschwand. Sie versuchte mir immer wieder diese kranke Sitte zu erklären, dass die Tochter des Hauses den Gästen alles servieren müsste und dass es alle tollen Töchter so machten, egal, wo sie hinging, aber ich hasste sie dafür, dass sie diese peinlichen Sachen überhaupt gut fand, anstatt sich darüber totzulachen, dass die blöden Töchter der anderen den Quatsch mitmachten.
    Egal ob wir Gäste hatten oder eingeladen waren, ich zog mich mit einem Buch zurück und las. Ich konnte stundenund tagelang durchlesen, ich wurde nicht müde. Ich las wirklich sehr viel in diesen Jahren, Berge von Büchern las ich, je dicker, desto besser, dann musste ich keine Angst haben, dass mittendrin die Geschichte zu Ende sein könnte und ich wieder allein und verloren war. Ich glaube, wenn wir nicht so viele Gäste gehabt hätten und nicht so viel eingeladen gewesen wären und alles nicht so langweilig und blöd gewesen wäre, wäre ich heute viel dümmer, weil ich viel weniger Bücher gelesen hätte.

    Während der Unterrichtszeit hatten wir zwischendurch immer mal wieder eine sogenannte Freistunde. Da ich jetzt als gefährlich galt, wurde ich von den Coolen ignoriert und saß meistens entweder alleine in unserer winzigen Schulbibliothek herum oder schlich mich vom Schulgelände über die Straße in die kleine Buchhandlung gegenüber eines unserer Schultore unten am Bushof. Die Buchhandlung gehörte einer deutschen Frau, die mit einem Iraner verheiratet war. Der Laden war ein Paradies für mich. Es gab alle deutschen Kinderbücher, Jugendromane und alle wichtigen Comics. Von Zeit zu Zeit machten meine Mutter und ich dort einen Besuch. Die Buchhändlerin zeigte uns dann die neuesten Lieferungen aus Deutschland und erzählte zu jedem Buch etwas, und ich durfte mir alles aussuchen, was ich wollte. Wenn meine Mutter gezahlt hatte, trugen wir zwei große Plastiktüten mit vielen herrlichen neuen Büchern ins Auto. Ich brachte meine Beute in mein Zimmer und baute einen Bücherturm neben meinem Bett auf. Ich lag mit Mr Molly auf meinem Bett, und wir aßen beide fettige iranische Kartoffelchips, die mir zwar nicht besonders schmeckten, aber immer noch besser waren als nichts, krümelten mein Bett voll und machten Fettflecken

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