Hinter der Nacht (German Edition)
– Sie hat uns gesehen.“
„Das könnt ihr
nicht tun! Sie hat mit dem Ganzen nichts zu tun! Sie ist unschuldig!“
Sein plötzlicher
Aufschrei erschreckte mich zutiefst. Geschockt beobachtete ich, wie er sich auf
einmal unter seinen Fesseln aufbäumte, als wollte er sie zerreißen, und einen
kurzen Augenblick lang glaubte ich sogar, dass er es schaffen würde. Ich konnte
förmlich die Blitze sehen, die aus seinen Augen schossen. Gleichzeitig war ich
selbst wie erstarrt, während die Gedanken durch meinen Kopf rasten. Was ging
hier vor? Was wollten sie mit uns tun? Ich wusste nur, es ging auch um mich,
und es war äußerst schlecht. So schlecht, dass es ihn aus seiner Opferhaltung
gerissen und seinen Kampfgeist wieder entfacht hatte. Aber das würde ihm auch
nichts mehr nützen. Diese beiden Wächtertypen waren uns überlegen. Und sie
schienen wirklich zu allem bereit.
Auf einmal
wusste ich mit erschreckender Klarheit, dass wir hier nicht lebend rauskommen
würden. Er nicht. Und ich auch nicht.
„Ihr könnt sie
doch nicht einfach ermorden! Sie hat euch nichts getan!“ Arik zerrte immer noch
verzweifelt an seinen Fesseln.
„Sie hat sich in
Dinge eingemischt, die sie nichts angehen. Wer sich mit den Wächtern anlegt,
muss die Konsequenzen tragen. Das Gesetz ist eindeutig. Es gibt keine
Ausnahmen.“ Der Mann trat neben seine Begleiterin und sah sie an. „Bringen wir
es zu Ende.“
„Nein!“ Ariks Stimme überschlug sich fast, und er kämpfte mit allen Mitteln gegen seine
Fesseln an, aber die beiden Wächter ragten hoch über ihm auf wie zwei
Rachegötter. Ich war so entsetzt, dass ich keinen Ton mehr hervorbringen und
keinen Muskel bewegen konnte. Ich kam mir vor wie in einem Albtraum und
erwartete fast, jeden Moment zu erwachen.
Doch dann sah
ich, wie der Mann in seine Jacke griff, etwas Längliches, kalt Blitzendes
hervorzog und damit zu Arik trat. Und auf einmal fand ich meine Stimme wieder.
„Oh nein, bitte nicht! BITTE NICHT! NEIN! NEIIIN! “ Auch ich bäumte mich
nun vergebens auf, schrie und schluchzte, als mir klar wurde, was er vorhatte.
„Clarissa! Es
tut mir leid! Bitte verzeih mir! Bitte!“ Ariks flehende Stimme brach mir das
Herz, und ein unerträglicher Schmerz breitete sich in meiner Brust aus, während
ich versuchte, mich zu ihm zu rollen. Doch ich war zu steif von der langen
Bewegungslosigkeit und meinem Sturz. Und während sein Blick sich in meinen
bohrte, musste ich entsetzt mit ansehen, wie die Frau sich mit beiden Knien auf
seinen Schultern niederließ und ihn mit aller Kraft auf den Boden presste,
während der Mann sich neben ihn kniete und dann seine Hände mit dem silbernen
Gegenstand darin wie zum Gebet erhob.
Es war ein
Messer. Ein langes, scharfes, tödliches Messer.
Der Wächter nahm
mit eiskalter Präzision Maß und richtete die Klinge genau über Ariks Herz aus.
Und dann ließ er sie schnell wie ein Blitz hinabfahren.
Ich schrie.
Ariks Körper
bäumte sich noch einmal auf. Dann sank er plötzlich in sich zusammen und
bewegte sich nicht mehr.
Die Stille in
meinem Kopf war ohrenbetäubend. Selbst meine Schreie und Schluchzer, die wie
losgelöst aus meinem Mund strömten, wurden von ihr verschlungen. Wie durch
einen Nebel nahm ich wahr, dass die beiden Wächter sich von ihm lösten und mir
zuwandten. Ich schloss die Augen. Es war mir egal. Ich wollte nichts mehr
sehen. Nichts spielte jetzt mehr eine Rolle.
„Tut mir ehrlich
leid, Clarissa“, sagte ihre Stimme. Dann wurde ich über den Boden gerollt.
Den Moment, als
ich über die Felskante ins Nichts stürzte, spürte ich kaum, und der freie Fall
war wie eine Erlösung. Nicht einmal, als das eiskalte Wasser tosend über mir
zusammenschlug, erwachte mein Überlebensinstinkt. Der Kampf lohnte sich nicht.
Der Tod war die größere Gnade.
2. Teil:
Ausgelöscht
Rückkehr
Clarissa
Bisher hatte ich
geglaubt, im Meer herrsche ewige Stille, doch das ist nicht wahr. Das Meer ist
voller Töne. Eine Sinfonie sanfter, durch das Wasser gedämpfter Musik. So zart
wie das leuchtende Dämmerlicht, das alles verschwommen strahlen lässt. Sanft
war auch die Berührung, die ich spürte. Wie eine Hand, die nach meinen Händen
und Füßen griff, mich von den störenden Fesseln befreite und mich dann wie im
Traum durch das Meer geleitete.
Ohne Eile sah
ich mich nach dem Wesen um, dem diese Hand gehörte. Es war ein Engel mit dem
Gesicht eines jungen Mädchens.
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