Hinter der Nacht (German Edition)
die unendliche Leere des Universums blicken. Als es mit den Füßen voran
langsam abwärts ging, wurde mir klar, dass sie dabei waren, mich irgendwo
hinunterzuhieven. Diese Erkenntnis trug nicht gerade zu meiner Beruhigung bei.
Mein Herz hämmerte panisch, als der Typ, der meine Füße gehalten hatte, diese
unvermittelt losließ, so dass meine Beine nun frei über dem Abgrund baumelten.
Jetzt durften sie nur nicht auch noch meine Schultern loslassen -
Ich hatte noch
nicht zu Ende gedacht, als auch das zweite Paar Hände plötzlich verschwand. Mir
blieb noch nicht einmal die Zeit, einen Schrei auszustoßen. Nach einem wider
Erwarten nur kurzen Fall knallte ich ungebremst auf einen steinharten
Untergrund. In meinem Kopf hörte ich ein lautes Knacken. Dann breitete sich
klebrige Wärme unter mir aus. Seltsamerweise verspürte ich keinerlei Schmerz,
nur dumpfe Trägheit.
Während ich mich
darüber wunderte, dass ich immer noch bei Bewusstsein war, lenkte mich eine plötzliche
Bewegung dicht neben mir ab. Dann hörte ich beunruhigende Geräusche.
Reflexartig wollte ich den Kopf drehen, um zu sehen, was da los war, aber er
gehorchte mir nicht. Plötzlich röchelte jemand ganz in meiner Nähe
fürchterlich, und ich musste mir auf die Zunge beißen, um nicht vor Schreck
laut zu schreien. Doch mein komischerweise wieder recht klarer Verstand riet
mir, dass es möglicherweise besser wäre, wenn ich niemanden auf mich aufmerksam
machte, bevor ich nicht wenigstens ansatzweise wusste, was hier gerade geschah.
Genauso
unvermittelt, wie der Tumult begonnen hatte, endete er wieder. Etwas schlug
dumpf und schwer neben mir auf dem Felsen auf. Dann sprach jemand. Ein Mann.
„Bind ihn fest. Er darf auf keinen Fall entkommen!“
„Schon klar. Ich
bin ja nicht blöd!“ Ich hielt die Luft an. Das war eine Frauenstimme! Und ich
war mir sicher, dass ich sie schon mal irgendwo gehört hatte, auch wenn sie
durch das Dröhnen in meinem Kopf, das nun langsam stärker wurde, gedämpft und
verzerrt klang.
Eine Zeit lang,
die mir wie eine Ewigkeit vorkam, hörte ich nichts außer meinem eigenen, heftig
klopfenden Herzen. Dann sprach die Frau wieder. „Er wacht auf.“
Ich versuchte,
meinen rasenden Puls zu beruhigen, um mehr zu verstehen.
„Gut. Dann
können wir es ja beenden.“
Ich hielt die
Augen bis auf einen winzigen Spalt geschlossen und blieb so ruhig wie möglich.
Solange sie glaubten, dass ich ohnmächtig war, würden sie mich hoffentlich in
Ruhe lassen. Wenigstens so lange, bis ich wusste, wer „er“ war. Ihr anderes
Opfer, dem es scheinbar nicht besser ging als mir.
Mittlerweile
gehorchte mir mein Kopf zum Glück wieder etwas, aber in der Dunkelheit sah ich
nur, dass er genauso bewegungslos und steif wie ich auf dem harten Boden lag.
Vermutlich auch genauso gefesselt wie ich. Mehr konnte ich von meinem
Leidensgenossen nicht erkennen. Bevor meine beiden Entführer merkten, dass ich
nicht ganz so bewusstlos war, wie sie dachten, machte ich schnell die Augen
wieder zu.
„Nimm ihm den
Knebel raus.“ Das war der Mann. Seine Stimme hatte nichts Bekanntes.
Aber irgendetwas in ihr jagte mir einen Schauer den Rücken hinunter.
Das Bündel neben
mir röchelte und zog hörbar die Luft ein, sagte aber nichts. Entweder konnteer nicht, oder er verfolgte die gleiche Schweigetaktik wie ich.
„Du weißt, warum
wir hier sind.“ Weiterhin war es der Mann, der sprach, und seine Worte klangen
wie eine Feststellung, nicht wie eine Frage. Er bekam keine Antwort von meinem
Nebenmann. „Du verstößt gegen das höchste Gebot. Alles an dir widerspricht
Gottes Schöpfung. Du hast kein Recht, da zu sein.“ Diese Worte machten für mich
überhaupt keinen Sinn, aber der Ton, in dem sie ausgestoßen wurden, verhieß
nichts Gutes. Ich hielt den Atem an und wagte es nicht, auch nur einen Finger
zu rühren.
„Willst du noch
etwas sagen?“ Das war die Frauenstimme. Die, die mir so seltsam bekannt vorkam.
Aber ich hielt die Augen krampfhaft geschlossen. Jeder, der Erfahrung mit
Krimis hat, weiß, dass es nie gut ist, wenn das Opfer den Täter erkennt.
Besser, ich tat so, als sei ich ahnungslos. Und besinnungslos.
Der
Angesprochene jedoch schien auf einmal zum Leben zu erwachen. „Du!“, krächzte
er, mit einer Stimme, die so klang, als würde er kaum Luft kriegen. Ich musste
mich sehr beherrschen, um die Augen weiterhin geschlossen zu halten.
„Erkennst du
mich?“, fragte die weibliche Stimme kalt. „Du siehst, wir sind dir schon
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