Hinter der Nacht (German Edition)
wäre.
Ich hatte diesen Alptraum jedeNacht.
Es war immer das
gleiche: Nacht für Nacht durchlebte ich erneut, wie sie mich packten; wie ich
durch die Dunkelheit raste, während der Himmel brannte; wie ich in die Klippen
geschleppt wurde; wie sie warteten – und dann begann der eigentliche Horror:
wie er plötzlich erschien; wie er kämpfte; wie er hilflos am Boden lag,
sich aufbäumte, um michzu retten, statt sich selbst in Sicherheit zu
bringen - und wie sich dann das Messer wie ein silberner Blitz auf ihn nieder
senkte. An dieser Stelle erwachte ich stets von meinem eigenen Schreien und
Schluchzen, und meistens fand ich dann Mike an meinem Bett, der mich in den Arm
nahm und beruhigte. Selbst nachts ließ ihn sein Beschützerinstinkt nicht ruhen.
Doch in dieser
Nacht war etwas anders in meinem Traum. Etwas, das mich mit weit aufgerissenen
Augen kerzengerade im Bett sitzen ließ, noch ehe Mike zur Tür hereinstürmte.
Der hielt mitten
im Schritt inne, als er mich erblickte, um dann umso schneller auf mich
zuzustürzen. „Clarissa! Was ist passiert?“
„Mike! Der
Traum!“
Ich konnte kaum
sprechen vor Aufregung, aber Mike deutete mein Benehmen falsch. Er drückte mich
an sich, streichelte mir über den Kopf und sprach beruhigend auf mich ein.
„Pssst, ist ja schon gut. Ist doch nur ein Traum. Vergiss ihn!“
Ungeduldig
machte ich mich frei und sah ihn verstört an. „Nein, Mike, du verstehst nicht!
Diesmal war es anders! Ich hab sie gesehen!“
Er sah verwirrt
aus. „Wieso, siehst du sie denn sonst nicht?“
„Nein“,
berichtigte ich, „ich meine, ich habe sie gesehen. Sie, die
Frau!“
Endlich kapierte
er, was ich ihm zu sagen versuchte. „Du meinst, du hast ihr Gesicht gesehen? Du
weißt, wer sie ist?“ Jetzt klang auch seine Stimme aufgeregt. Er packte mich an
den Schultern.
„Ja! Nur, dass
es gar keine Frau ist!“
„Keine Frau?“
Ich schüttelte
den Kopf. „Nein, keine Frau. Ein Mädchen! Und du kennst sie auch! Es ist
Patti!“
Sein Blick
drückte eine Mischung aller möglichen Gefühle aus – Verwirrung, Erstaunen,
Mitleid – und Unglauben. Letzterer gewann die Oberhand. „Willst du etwa damit
sagen, dass Pattidich entführt haben soll – und Arik ermordet? Patti vom Karate ?“
Ich konnte gut
verstehen, dass er so reagierte. Ein Teil von mir hielt diese Idee für genauso
absurd wie er. Aber ein anderer Teil schien unendlich erleichtert. Die ganze
Zeit hatte ich das Gefühl gehabt, dass ich die Stimme der Frau kannte, und es
hatte mich unendlich frustriert, dass ich sie nicht zuordnen konnte. Erst
heute, als Jordan sie im Zusammenhang mit Arik und mir erwähnte, hatte
scheinbar etwas in meinem Kopf Klick gemacht. Und in meinem Traum war es dann
an die Oberfläche gekommen und hatte der Unbekannten ein Gesicht verliehen.
PattisGesicht.
Ich versuchte,
das Mike zu erklären, aber er blieb skeptisch. Da fiel mir plötzlich noch etwas
ein, das ich vergessen hatte und das jetzt auf einmal wieder vor meinem inneren
Auge auftauchte. Das Bild von Patti mit einem mir unbekannten, älteren Freund.
Händchenhaltend.
„Weißt du nicht
mehr, Mike?“, fragte ich atemlos. Auf einmal fügte sich alles ineinander und
ergab ein stimmiges Gesamtbild. Auch wenn es überhaupt keinen Sinn machte. „Sie
war auch da!“
„Wo?“, fragte er
verständnislos.
„Im Park! Am
Guy-Fawkes-Day! Sie hat doch noch mit uns gesprochen!“
Ich sah, wie
Erinnerung in seine Augen trat. „Stimmt“, sagte er langsam. „Mit so einem
Typen! Die beiden waren ja unzertrennlich!“
„Genau! Und
weißt du was…“, meine plötzliche Erleuchtung ließ mich selbst schaudern,
„…diese beiden Typen, meine Entführer – ich hab zwar nur ihre Umrisse gesehen,
aber sie könnten es gewesen sein. Ich bin mir da sogar fast sicher.“
„Und du glaubst
nicht, dass du im Traum nur deshalb Patti gesehen hast, weil wir zum ersten Mal
wieder beim Karate waren?“ Mike bemühte sich immer noch, nüchtern zu bleiben.
Ich ging alles
noch einmal in Gedanken durch, alle Erinnerungen, die ich mit mir
herumschleppte. Dann schüttelte ich entschieden den Kopf. „Nein. Ich weiß zwar
nicht, warum, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass Patti und ihr komischer
Freund mich entführt haben. – UndArik ermordet“, fügte ich mit belegter
Stimme hinzu.
Aber Mike
reagierte nicht so, wie ich es erhoffte. Er schüttelte den Kopf. „Ehrlich,
Clarissa. Sowas solltest du nicht sagen. Du kannst doch nicht einfach zwei
völlig harmlose
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