Hinter der Nacht (German Edition)
Umrisse sehen konnte. Die kleinste Gestalt –
vermutlich Patti - hielt einen anderen von hinten umklammert und zog ihm mit
irgendetwas den Hals zu. Ihr Gegner schien schon recht geschwächt, denn er
wankte gefährlich. Es war absehbar, dass er gleich umkippen würde, auch wenn er
sich noch verzweifelt wehrte.
In diesem Moment
ertönte von dort ein lautes Röcheln, das mich wie elektrisiert zusammenfahren
ließ. Diesen Laut hatte ich schon einmal gehört! Und er ließ nur eine
Schlussfolgerung zu – das da unten, Pattis Gegner, das musste Arik sein! Denn
seinRöcheln war es, das ich damals, als ich gefesselt am Boden lag,
genau so gehört hatte. Auch wenn ich ihn erst hinterher erkannt hatte.
Sein Anblick –
geschwächt und in Bedrängnis zwar, aber lebendig – durchfuhr mich wie
ein Blitz. Ich hatte Recht gehabt! Es warmöglich, ihn zu retten! Auch
wenn diese Möglichkeit verschwindend gering war und mit jeder Sekunde noch
weiter schwand, wie mir jetzt klar wurde.
Hektisch
versuchte ich, den Rest der Szene zu erfassen. Mike stand dem anderen Wächter –
Nathanael – gegenüber, den ich daran erkannte, dass er ein langes, in der
Dunkelheit fahl glänzendes Messer in der Hand hielt. Mike dagegen schien
unbewaffnet. Wo war sein Messer? Hatte er es womöglich gar nicht mitgenommen?
Oder war er entwaffnet worden? So oder so, es sah nicht gut aus für ihn.
Entsetzt sah ich, wie sein Gegner einen Angriff von rechts antäuschte und das
Messer gleichzeitig in die linke Hand warf. Mike fiel prompt auf die Finte
herein und wandte sich nach rechts. Das Messer von links sah er nicht. Er war
eben doch nur ein Anfänger.
„Mike! Andere
Seite! Das Messer!“ Ich schrie, so laut ich konnte, gegen das Tosen der Wellen
an, und im letzten Moment schien er mich zu hören. Instinktiv machte er einen
Schritt zurück, keine Sekunde zu früh. Das Messer fuhr ins Leere. Aber mir war
klar, dass das nur ein kurzer Aufschub war. Allein wäre er seinem Gegner nicht
mehr lange gewachsen. Und auch Patti schien mit Arik fast fertig zu sein.
Danach würde sie ihrem Partner zu Hilfe eilen, und alles wäre verloren. Es
blieb nichts anderes übrig: Ich musste eingreifen. Aber konnte ich das?
Erst jetzt
suchte ich den Vorsprung nach einer fünften Gestalt ab, und dann sah ich sie.
Sie lag bewegungslos am Boden wie ein Paket, das man achtlos fallen gelassen
hatte, und rührte sich nicht.
Die Gedanken
rotierten in meinem Kopf. Also gab es mich doch an zwei Orten gleichzeitig?
Oder war das gar nicht ich dort unten? In dem spärlichen Licht konnte ich keine
Einzelheiten ausmachen außer einer dunklen, länglichen Masse. Könnte ich
einfach dort runtergehen? Was geschah, wenn sie – ich - mich sah? Wenn
wir wirklich am selben Ort wären? Zur selben Zeit? Durfte ich dieses Risiko
eingehen? Oder gab es eine andere Lösung?
In diesem
Augenblick sah ich, wie Mikes Gegner erneut das Messer hob und mit einem
Panthersprung auf ihn zu hechtete. Mike konnte ihm gerade noch ausweichen. Beim
nächsten Mal würde er ihn erwischen. Auf Dauer war er einem solchen Ansturm
nicht gewachsen. Ich durfte nicht mehr länger zögern. Ich musste runter.
Da kam mir eine
Idee. Vielleicht gabes doch einen Weg, Mike und Arik zu helfen ohne mir
selbst zu begegnen und damit womöglich alles ins Chaos zu stürzen. Aber ich
konnte es nicht allein tun. Ich würde Hilfe brauchen. Nur – würde er verstehen,
was ich von ihm wollte? Und wäre er bereit, es zu tun?
„Mike!“, schrie
ich, so laut ich konnte, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Als ich sah, dass
er seinen Kopf in meine Richtung drehte, setzte ich hinzu: „Du musst mich
runterschubsen!“
Doch noch bevor
er reagieren konnte, sah sein Gegner, dass er kurzzeitig abgelenkt war, und
nutzte diese Chance sofort aus. Wieder hob er das Messer und ließ es dann mit
tödlicher Wucht auf Mike niedersausen.
„Mike! Weich
aus!“, kreischte ich panisch, und ihm gelang in letzter Sekunde ein halber
Schritt zur Seite. Das Messer traf statt Mikes Brust seinen rechten Arm. Er
taumelte zurück. Es war wirklich allerhöchste Zeit!
„Wirf mich
runter! Los! Sonst kann ich nicht helfen! Beeil dich!“, kreischte ich in den
höchsten Tönen.
Endlich schien
er zu kapieren. Ich sah, wie sein Kopf herum schoss zu der reglos am Rand des
Abgrunds liegenden Gestalt.
„Mach es!
Schnell!“, schrie ich noch einmal.
Doch Mike
zögerte weiterhin, und das Messer fuhr wieder in die Luft.
„Mike! Tu es!
Für mich!“ Meine Stimme
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