Hinter der Nacht (German Edition)
ein
warnendes „Psst!“ zu, das mich gerade noch zur Besinnung brachte.
Augenblicklich gefror ich zur Salzsäule und spitzte meine Ohren. Jetzt hörte
ich es auch. Stimmen, ein Stück vor uns, hinter einer Biegung.
Ich trat dicht
an ihn heran und wisperte ihm ins Ohr: „Da vorne muss die Stelle sein, an der
sie mich runtergelassen haben.“
„Ich schleich
mich mal hin“, flüsterte er zurück. „Bleib du hier!“
Und schon
tastete er sich auf Zehenspitzen vorwärts. Ich sah, wie er hinter einem Strauch
in Deckung ging und dann versuchte, einen Blick um die Ecke zu tun. Offenbar
gelang es ihm, denn schon nach kurzer Zeit kam er zu mir zurück.
„Du hast recht,
das sind sie. Ich sehe aber nur einen. Sieht nach Patti aus. Den anderen kann
ich nirgends entdecken. Sie scheint irgendwas festzuhalten.“
„Mich“,
flüsterte ich zurück. „Wahrscheinlich lassen sie mich gerade auf den
Felsvorsprung runter.“ Ich erinnerte mich schaudernd an das Gefühl, ins Leere
zu stürzen. Und dann der harte Aufprall, als…
„Wir müssen
sofort los!“, fuhr ich auf einmal auf und wollte schon starten. Mike schaffte
es gerade noch, mich am Ärmel festzuhalten.
„Halt! Spinnst
du? Du kannst ihnen doch nicht einfach in die Arme laufen! Wir müssen erst
einen Plan machen!“
„Dazu haben wir
keine Zeit!“, fuhr ich ihn an und riss gleichzeitig an meinem Ärmel. Aber er
hielt eisern fest. Verzweifelt fuhr ich fort: „Verstehst du denn nicht? Er hat
sie angegriffen, während sie mich runtergelassen haben! Und dann haben sie ihn
gefangen genommen! Wir müssen ihm helfen! Jetzt! “
„Okay, warte.“
Er überlegte. Dann schien er einen Entschluss zu fassen. „Ich gehe allein!“
„Was?“
„Du kannst nicht
mit. Schon vergessen? Du bist schon da! Das Risiko ist zu groß.“
Mit hängenden
Armen blieb ich stehen. Daran hatte ich nicht gedacht.
„Ich gehe! Du
wartest hier, verstanden?“
„Allein schaffst
du das nie!“, wandte ich hektisch ein.
„Wenn ich mich
beeile, bin ich nicht allein. Du kommst erst nach, wenn ich dich rufe, okay?“
„Okay“, murmelte
ich. Was blieb mir anderes übrig? „Aber wenn du nicht bald rufst, komm ich
trotzdem!“
„Ich rufe dich!“
Damit eilte er davon, und ich blieb allein auf dem Pfad zurück.
Entscheidung
Clarissa
Die nächsten
Minuten waren die längsten meines Lebens. Das Geräusch der Brandung zusammen
mit dem Blut, das wie aufgepeitscht durch meinen Körper pulsierte, ergab ein
solches Höllenspektakel, dass ich nichts anderes wahrnehmen konnte. Rief er
vielleicht schon nach mir? Kämpften sie? Ich hörte rein gar nichts außer dem
Rauschen in meinen Ohren. Mit aller Kraft versuchte ich, mich zu beruhigen,
aber der Lärm ließ nicht nach. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus. Aus der
Ferne zuschauen konnte doch eigentlich nichts schaden, oder? Obwohl ich mir in
der Hinsicht nicht wirklich sicher war, kroch ich langsam vorwärts, bis zu dem
Strauch, von dem Mike aus das Geschehen vor uns beobachtet hatte. Dann lugte
ich vorsichtig um die Ecke.
Ich sah –
nichts. Der Pfad war leer.
Was hatte das zu
bedeuten? Wo waren sie? Blitzschnell ließ ich mir die verschiedenen
Möglichkeiten durch den Kopf gehen. Vielleicht waren sie alle auf dem
Felsvorsprung. Oder abgestürzt. Oder – dieser Einfall kam mir ganz plötzlich,
und er war der erschreckendste von allen – sie konnten einfach in eine andere
Zeit gesprungen sein! Und damit für mich unerreichbar! Vielleicht war ich
mutterseelenallein hier und würde sie nie wieder sehen! Arik nicht. Und auch
Mike nicht… Der Gedanke ließ meine Füße am Boden festfrieren. Auf einmal war
ich zu keiner Bewegung mehr fähig.
In diesem Moment
drang ein fernes Geräusch an meine Ohren. Es klang wie ein schwacher Schrei,
der vom Wind herübergetragen wurde. Wo jemand schrie, da waren Menschen.
Menschen, die meine Hilfe brauchten.
Plötzlich hielt
mich nichts mehr. Ohne darüber nachzudenken, sprang ich auf und rannte das
letzte Stück des Pfads entlang, direkt auf die Klippen zu. Erst, als ich sie
fast erreicht hatte, holte mein Verstand mich ein - gerade noch rechtzeitig, um
mich platt auf den Boden zu werfen und den letzten Rest des Wegs vorwärts zu
kriechen. Dann schob ich meinen Kopf vorsichtig so weit über die schroffe
Felskante, dass ich das Geschehen unter mir erblicken konnte.
Was ich sah,
ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Dort unten kämpften vier Menschen,
von denen ich im Dunkeln nur die
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