Hinter der Nacht (German Edition)
denken kann, ertönt ein Schrei. „Mike! Andere Seite!
Das Messer!“
Mein Herz macht
einen jähen Sprung. Die Stimme kenne ich. Aber – auch das kann nicht sein. Sie
kommt aus der falschen Richtung…
Mein Gegner
scheint erkannt zu haben, dass ich ungeahnte Verstärkung bekommen habe, denn
unvermittelt verdoppelt er seine Anstrengungen, mir die Luft abzuschnüren. Ich
brauche meine ganze Konzentration, um auf beiden Beinen stehen zu bleiben, und
kann nicht weiter beobachten, was Mike mit dem anderen Wächter treibt. Oder
woher die andere Stimme kommt, die jetzt wieder ertönte. Sie schreit
irgendetwas, aber ich kann nicht verstehen, was, denn mittlerweile rauscht mir
das Blut in den Ohren und übertönt alles andere. Aus den Augenwinkeln nehme ich
eine Bewegung wahr, und dann taucht Mike plötzlich ganz in meiner Nähe auf –
dort, wo Clarissa gefesselt am Boden liegt. Er sieht einen Moment auf sie
hinunter und bückt sich dann.
Was hat er vor?
Will er sie befreien? Aber was soll das nützen, wo sie ganz offensichtlich
ohnmächtig ist?
In diesem
Augenblick streckt er seine Hände aus – und ich erkenne, dass ich mich
getäuscht habe. Er hat gar nicht vor, sie zu befreien! Oder mir zu Hilfe zu
eilen! Er gehört zu ihnen !
Wie gelähmt
beobachte ich, wie er Clarissa einen Stoß versetzt.
„Neeeiiin!!!“
Es klingt nach
mehr als nur meiner Stimme, die diesen Schrei ausstößt, aber ich schenke dem
keine Aufmerksamkeit. Ich verzehnfache meine Kräfte, mit denen ich an der
Schlinge um meinen Hals reiße, und diesmal geschieht das Unmögliche:
Urplötzlich lockert sie sich, nur eine Sekunde lang.
Sofort quetsche
ich eine Hand unter das Seil – oder was immer es ist – und reiße es ruckartig
nach vorne. Mein Gegner kracht von hinten gegen meinen Rücken, bringt mich zu
Fall und wir gehen zu Boden. Blitzartig drehe ich mich auf den Rücken und sehe
ihm zum ersten Mal ins Gesicht.
Der Schock des
Erkennens kostet mich wertvolle Sekunden. Das ist Patti! Doch damit kann ich
mich später befassen. Zuerst muss ich sie loswerden, um Clarissa zu retten.
Kurzerhand
knalle ich ihr meine Stirn auf die Nase. Es knirscht hässlich und ein Schwall
Blut spritzt mir ins Gesicht. Dann sinkt sie auf mir zusammen und regt sich
nicht mehr. Ich schubse sie von mir und springe auf.
Clarissa ist
nicht mehr da. Mike steht reglos am Rand der Klippe und sieht in die Tiefe
hinab. Er wendet mir den Rücken zu. Hilflos vor Wut hechte ich auf ihn zu.
Alles, woran ich denken kann, ist, dass ich will, dass er ihr folgt. Auch wenn
sie das nicht zurück bringt. „Du mieser, hinterhältiger Verräter!“ Ich versetze
ihm einen heftigen Stoß. Überrumpelt wendet er mir seinen Kopf zu, mit einem
völlig überraschten Blick. Dann taumelt er – und stürzt in den Abgrund.
„Arik! Nein!“
Ich wirbele
herum. Und da steht sie vor mir, Entsetzen im Gesicht.
„Was tust du?“
Sie stürzt an die Felskante. „Mike! Nein! NEIN!“
Der Schmerz in
ihrer Stimme ist mehr, als ich ertragen kann. Wieso ist sie hier? Was habe ich
getan?
„Wir müssen ihn
retten!“ Sie macht Anstalten, sich hinter Mike über die Kante zu stürzen.
Ich packe sie am
Arm. Meine Worte sind nur Gestammel. „Clarissa! Wieso… was… Mike…“
„Er musste mich
runterschubsen, damit ich helfen konnte! Nathanael…“
Plötzlich erhebt
sich ein Schatten hinter ihr. Ich kann sie gerade noch aus dem Weg schubsen,
dann stehe ich dem zweiten Wächter gegenüber. Er hält ein langes, gefährlich
aussehendes Messer in der Hand.
Ich sehe rot.
Ohne zu zögern, springe ich hoch und ramme ihm im Flug meine Ferse in den
Magen. Doch offensichtlich hat er Muskeln aus Stahl, denn er schnappt nur kurz nach
Luft und holt dann erneut aus. Das Messer schwebt direkt über meinem Kopf.
Ich will zur
Seite springen, doch in diesem Moment zischt eine kleine Gestalt an mir vorbei.
Clarissa. Mit einem Wutschrei stürzt sie sich auf den fast anderthalb Köpfe
größeren und doppelt so schweren Wächter. „Nein! Nochmal kriegst du ihn nicht!“
Und dann holt sie aus und versenkt mit einem blitzschnellen Stoß etwas in
seiner Brust, bevor sie genau so rasant wieder von ihm ablässt und dann schwer
atmend vor ihm stehen bleibt.
Zunächst
geschieht gar nichts. Der Wächter scheint mitten in seiner Bewegung erstarrt
wie ein Standbild. Dann jedoch sinkt sein erhobener Arm wie in Zeitlupe herab.
Seine Finger öffnen sich und das Messer fällt auf den Boden, wo es mit einem
leisen Pling
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