Hinter der Nacht (German Edition)
mit der veränderten Situation umgehen soll.
In Inverness
steuert Mike auf direktem Weg meine Wohnung an und bleibt dann im Dunkeln vor
ihr stehen. Nachdem wir Patti die Treppen hinauf geschleppt und sicher in
meinem Abstellraum verstaut haben, bleiben wir unschlüssig im Flur stehen.
„Und jetzt?“
Clarissa spricht aus, was wir alle denken, und die Frage bleibt zwischen uns im
Raum hängen.
Auf einmal fühle
auch ich mich todmüde. Es gibt unendlich viele Dinge zu klären, aber ich fühle
mich nicht in der Lage, auch nur ein einziges davon anzupacken. Ich will nur,
dass sie gehen und mich allein lassen, damit ich in Ruhe über mein weiteres
Vorgehen nachdenken kann. Ohne irgendwelche Ablenkungen, die mich von meinem
Weg abbringen. Ohne sie.
„Ihr könnt ruhig
abhauen. Ich komme schon alleine klar.“
Clarissas Blick
zeigt mir, dass ich das Falsche gesagt habe. Sofort stellt sich alles in mir
auf Abwehr.
„Sieh mich nicht
so an!“, fahre ich sie an. „Lass mich endlich in Ruhe!“
„Arik…“, beginnt
sie in flehendem Ton, „…bitte! Ich will doch nur…“
„Eben, duwillst“,
falle ich ihr ins Wort, „immer nur du ! Das ist alles, was dich interessiert.
Hauptsache, dukriegst, was du willst. Das hat uns diese ganze Scheiße
doch erst eingebrockt! Ich hatte alles im Griff, bis dugekommen bist!
Du mit deiner verdammten Aufdringlichkeit! Das hat sie doch erst auf meine Spur
gebracht! Aber jetzt ist Schluss damit, verstehst du? Ich will dich nämlich nicht ! Und weißt du, was? Ich wünschte, ich wäre dir nie
begegnet!“ Schwer atmend breche ich ab.
Tief in meinem
Innern weiß ich natürlich, dass ich ihr Unrecht tue. Schließlich habe ich den Kontakt zu ihr gesucht, um mehr über Mike und seinen Vater herauszufinden.
Und die Wächter wären vielleicht trotz des blöden Unfalls am ersten Tag unserer
Bekanntschaft, bei dem ich meine Fähigkeiten zum ersten Mal in der
Öffentlichkeit benutzen musste, nie an mir hängen geblieben, wenn ich nicht in
der Folgezeit ständig zwischen den Zeiten gependelt wäre, um Mike
auszuspionieren. Clarissa kann eigentlich gar nichts dafür. Das alles weiß ich,
doch im Moment ist es mir egal. Ich will nur, dass sie geht.
Clarissa steht
da wie versteinert. Plötzlich steigt ein komisches Gefühl in mir hoch. Ihre
Augen – irgendetwas stimmt nicht mit ihnen. Sie wirken – erloschen. Jedes Licht
ist plötzlich aus ihnen verschwunden. Sie sieht aus, als wäre etwas in ihr
gestorben.
Auf einmal
bekomme ich Angst. „Clarissa…“
„Schon gut“,
unterbricht sie mich flüsternd. „Ich habe verstanden.“ Und dann dreht sie sich
ohne einen weiteren Blick um und geht.
Mike, der die
ganze Szene wortlos verfolgt hat, folgt ihr auf dem Fuß. Die Tür fällt hinter
ihnen ins Schloss. Ich bin allein.
Clarissa
Die Heimfahrt
verlief in einem grauen Nebel. In meinem Kopf war alles leer, ich fühlte mich
stumpf und taub.
Mike führte mich
die Treppe hoch bis in mein Zimmer. Dann drückte er mich auf mein Bett. „Ruh
dich erstmal aus, Clarissa. Du wirst sehen, morgen sieht die Welt schon wieder
anders aus. Das wird schon wieder!“
Ich rang mir ein
Lächeln ab, weil ich nicht wollte, dass er sich Sorgen um mich machte, und
wartete, bis er mich allein gelassen hatte, bevor ich mich zurücksinken ließ.
Dann starrte ich blicklos an die Decke.
Mike dachte, ich
sei ratlos. Aber das stimmte nicht. Im Gegenteil - auf einmal wusste ich genau,
was ich zu tun hatte. Es war eigentlich ganz einfach, und er hatte es
mir gesagt.
Aber ich konnte
es nicht alleine tun. Noch einmal – ein letztes Mal – würde ich Mikes Hilfe
benötigen. Und auch, wenn es ihm nicht gefallen würde - ich wusste, er würde sie
mir nicht verweigern.
„Das ist nicht
dein Ernst!“ Mike sah mich fassungslos an. Ich hatte ihn ein paar Stunden
schlafen lassen, in denen ich meine Vorbereitungen getroffen hatte, doch jetzt
hielt ich es nicht mehr länger aus.
„Doch!“,
entgegnete ich, mühsam um Haltung kämpfend. Er sollte auf keinen Fall merken,
wie schwer mir dieser Entschluss fiel. Mit möglichst fester Stimme fuhr ich
fort: „Das ist die einzige Lösung. Denn selbst, wenn wir Patti töten würden…“
– ich schüttelte mich bei dem Gedanken, und auch Mike schauderte unwillkürlich
– „Du weißt doch genau so gut wie ich, dass das auch keine wirkliche Sicherheit
bedeuten würde.“ Ich blickte ihn herausfordernd an, und er nickte
widerstrebend.
„Aber wir finden
bestimmt
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