Hinter der Nacht (German Edition)
hatte,
Philipp und meiner Mutter aus dem Weg zu gehen. Ich wusste nicht, was schwerer
zu ertragen war - der Anblick ihres demonstrativ zur Schau gestellten Glücks
oder Philipps ungebetene Erziehungsversuche. Im Grunde war ich nur noch zum
Schlafen zu Hause und verbrachte ansonsten den größten Teil meiner Zeit in der
Schule oder in der Stadt – wenn man das Kaff, in dem wir lebten, so nennen
konnte. Amanda ließ mich gewähren; sie schien froh zu sein, mich aus dem Weg zu
haben.
Während ich
meinen Erinnerungen nachhing, erreichte der Bus endlich die Innenstadt. Ich
hatte keinen Plan, wo ich hinwollte, und so stieg ich einfach am Busbahnhof
aus, an dem ich damals – vor gerade mal zwei Wochen, die mir aber eher wie zwei
Monate vorkamen, so viel hatte ich seitdem hier erlebt – zuerst den Boden von
Inverness betreten hatte.
Die Innenstadt
sah aus wie jede andere – überall die gleichen Läden, die mich nicht wirklich
interessierten. Ich war keine große Shopperin. Aber nachdem ich eine Weile
herumgebummelt war, entdeckte ich auf einmal etwas Besseres – den Fluss, nach
dem Inverness benannt war. Wenn ich an ihm entlang ging, müsste ich doch
eigentlich irgendwann ans Meer kommen. Eigentlich kaum zu glauben, dass ich jetzt
schon seit zwei Wochen hier war und es noch gar nicht gesehen hatte! Und so
wanderte ich kurz darauf am Wasser entlang und spürte, wie es mir besser ging.
Schließlich fand
ich tatsächlich die Küste, auch wenn sie hier nicht gerade meiner Vorstellung von
Meer und Strand entsprach, sondern reine Hafengegend war. Aber es gab Wasser,
Salzgeruch und Möwen, und das war schon hundert Prozent mehr Meer, als ich
bisher in meinem ganzen Leben gesehen hatte. Ich suchte mir eine Bank, nahm
meinen MP3-Player heraus und schloss die Augen – so ließ es sich aushalten.
„He! Verfolgst
du mich etwa?“
Diese nicht
gerade freundlich klingende Frage riss mich unsanft aus meinen Träumen, und ich
schreckte hoch – nur um bei dem Anblick, der sich mir bot, noch heftiger
zusammenzuzucken. Das glaubte ich jetzt nicht – vor mir stand schon wieder Arik
und sah mich noch finsterer an als gewöhnlich.
„Spinnst du? Was
bildest du dir eigentlich ein?“, fuhr ich ihn an, nachdem ich mich von meinem
ersten Schock so weit erholt hatte, dass meine Stimme wieder funktionierte.
„Nur weil ich dir zufällig begegne?“
„Zufällig. Ja
klar. Du sitzt rein zufällig vor meiner Haustür. Hätte ich ja auch gleich drauf
kommen können.“ Seine Stimme triefte vor Sarkasmus, während er demonstrativ auf
ein heruntergekommenes Mietshaus in der Nähe zeigte.
Oh nein. Er
wohnte hier? Das durfte doch nicht wahr sein. Kein Wunder, dass er glaubte, ich
sei seinetwegen hier. Wie peinlich! „Du bist echt das Letzte! Als ob es
irgendeinen Grund geben könnte, ausgerechnet dich zu besuchen! So nötig habe
ich’s ja nun doch nicht! Da wäre ich ja noch lieber zu Hause bei Mike!“ Shit. Der letzte Satz war mir völlig unbeabsichtigt herausgerutscht.
Aber er zeigte
sofort Wirkung. „Dann geh doch zu ihm!“, fuhr er mich an. „Ich kann es nicht
glauben, dass du nun doch mit diesem Idioten zusammen bist!“
Ich traute
meinen Ohren kaum. „Sag mal, hast du sie noch alle?“, keifte ich zurück.
„Der Kerl ist
nichts für dich!“
Das wurde ja
immer bescheuerter. „Was geht dich das an?
„Ich weiß
einiges, was du nicht weißt, und glaube mir – der Typ ist nicht gut. Er ist
falsch und hinterhältig!“
Jetzt wurde ich
ernsthaft wütend. Auch, wenn ich selbst zurzeit nicht gerade ein ungetrübtes
Verhältnis zu Mike hatte – dass er versuchte, ihn hier grundlose schlecht zu
machen, ging einfach zu weit.
„Halt die
Klappe!“, fuhr ich ihn an. „Das ist ja wohl das Letzte, jemanden feige hinter
seinem Rücken schlecht zu machen! Mike ist tausendmal netter und angenehmer als
du!“
Das schien ihn
getroffen zu haben. Er zuckte merklich zusammen. Dann sagte er verächtlich: „Du
musst es ja wissen. Weißt du was: Du bist genau wie alle anderen. Du siehst
auch nur die Fassade.“
Ich war einfach
nur wütend. Extremwütend. „Ganz sicher bin ich wie alle anderen“, fauchte
ich ihn an. „Was man von dir allerdings nicht behaupten kann. Zum Glück! – Wenn
alle so wären wie du, das wäre ja nicht auszuhalten! Ich habe noch nie jemanden
kennengelernt, der so… so…“ Ich suchte nach dem passenden Wort. Schließlich
fand ich es: „… finster ist wie du! In dir scheint es überhaupt nichts
Gutes zu
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