Hinter der Nacht (German Edition)
an ihn.
Zwei weitere
Wochen schmorte ich in meinem eigenen Saft. Dann hielt ich die Ungewissheit und
mein schlechtes Gewissen nicht mehr aus. Beim Karatetraining nahm ich mir ein
Herz und sprach Jordan an. Während wir darauf warteten, dass alle sich in der
Halle versammelten, versuchte ich, das Thema so unauffällig wie möglich
anzuschneiden.
„Sag mal, mit
wem soll ich eigentlich trainieren, falls Arik weiterhin nicht kommt? Wo ist er
überhaupt? Ist er krank?“
Jordan sah mich
sichtlich überrascht an. Bisher hatte ich ihn noch nie von mir aus
angesprochen. „Tut mir leid, ich weiß von nichts. Such dir halt einen anderen
Partner.“
Das Training zog
sich endlos hin, auch, weil der kleine Gelbgurt, der am Ende für mich übrig blieb,
mir alles andere als gewachsen war. Er gab sich zwar Mühe, war aber offenbar
von meinem Braungurt so eingeschüchtert, dass er überhaupt nichts auf die Reihe
kriegte.
Hinterher im
Umkleideraum startete ich einen neuen Versuch. Diesmal war Patti die Auserwählte.
„Hast du eigentlich in letzter Zeit mal was von unserem Gruftie gehört?“
Sie sah mich
erstaunt an. „Von wem?“
„Dem schwarzen
Mann!“, entgegnete ich mit übertriebenem Augenrollen, das von meinem mir selbst
peinlichen Interesse ablenken sollte.
„Meinst du
Arik?“ Sie klang erstaunt. „Nein. Was ist mit ihm?“
„Ich habe ihn
länger nicht mehr gesehen. Schon ein paar Wochen, glaube ich.“ Als ob ich es
nicht ganz genau wüsste.
„Echt? Ist mir
gar nicht aufgefallen.“
Unerwarteterweise
empfand ich plötzlich Mitgefühl. Scheinbar vermisste ihn außer mir niemand. Und
mich trieb ja auch nur mein schlechtes Gewissen dazu, sonst wäre ich heilfroh
über seine Abwesenheit gewesen.
Der Abend mit
Mike steigerte meine Laune auch nicht gerade, was vor allem daran lag, dass ich
mich seit unserem kleinen Intermezzo auf dem Parkplatz in seiner Gegenwart
ziemlich gehemmt fühlte. Deshalb war ich heilfroh, dass es schon kurz nach
unserem gemeinsamen Dinner ein Abend ohneMike wurde.
„Tut mir leid,
Clarissa“, murmelte er entschuldigend, nachdem er seinen Teller im Rekordtempo
geleert hatte. „Ich muss dringend noch was für die Schule tun. Meinst du, du
schaffst es heute mal ohne mich?“
„Klar“, murmelte
ich, bemüht, mir meine Erleichterung nicht allzu deutlich anmerken zu lassen.
„Du bist ein
Schatz!“ Mit diesen Worten, die der Wahrheit nicht unbedingt nahe kamen,
verschwand er die Treppe hinauf, mich mit dem dreckigen Geschirr zurücklassend.
Ich machte mich
an den Abwasch, froh darüber, etwas zu tun zu haben, was mich von meinen
Grübeleien ablenkte. Leider dauerte das bei uns zwei Personen aber nicht
gerade lang. Nachdem ich fertig war, ging ich zurück ins Wohnzimmer und zappte
mich unlustig durch die Fernsehkanäle, aber das Geflimmer machte mich noch
unruhiger. Also schaltete ich den Fernseher wieder aus. Dann blieb ich
unschlüssig auf dem Sofa sitzen. Mein Blick irrte auf der Suche nach
Beschäftigung umher. Die einzige andere Ablenkung hier waren die Bücherregale,
die den sowieso schon recht kleinen Raum noch bedrückender wirken ließen. Sie
bedeckten eine gesamte Wand vom Fußboden bis zur Decke und waren prall gefüllt.
Komisch eigentlich, dass ich sie erst jetzt bewusst wahrnahm. Bücher hatten
mich nämlich schon immer magisch angezogen. Neugierig erhob ich mich vom Sofa
und ging zu dem mir am nächsten stehenden Regal. Dann versuchte ich mit schräg
gelegtem Kopf, die Büchertitel zu entziffern.
Schon nach
kurzer Zeit war ich fasziniert. Wer auch immer diese Sammlung zusammengetragen
hatte – ich nahm an, dass es Mikes Vater gewesen war, denn Mike hatte ich
bislang noch nie mit einem Buch in der Hand angetroffen – traf zu hundert
Prozent meinen Geschmack. Dies war die umfangreichste Sammlung von
Fantasyromanen, die ich je außerhalb eines Buchladens erblickt hatte. Meine
eigene bescheidene Bibliothek, die zu Hause in meinem Zimmer vor sich hin
staubte, konnte da bei weitem nicht mithalten.
Während ich mich
mit wachsender Begeisterung von Regalbrett zu Regalbrett vorarbeitete und dabei
vorübergehend sogar mein schlechtes Gewissen vergaß, bemerkte ich jedoch, dass
ich mich geirrt hatte. Das erste Regal schien zwar tatsächlich vor allem
Fantasyromane zu enthalten, doch um das Regal rechts daneben war es anders
bestellt. Als ich einige der dort stehenden Bücher neugierig herauszog und die
Rückseite las, stellte ich zu meiner Überraschung fest, dass es
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