Hinter der Nacht (German Edition)
sich bei ihnen
trotz ihrer blumigen Titel ( Auf Engels Schwingen, In den Armen der Fee,
Einmal Jenseits und zurück? und so weiter) nicht, wie ich erwartet hatte,
ebenfalls um Romane handelte, sondern um Sachbücher. Jedenfalls, soweit man bei
diesen Themen ernsthaft von Sachbüchern reden konnte. Das ganze Regal war voll
davon. Hier schien jemand ein Interesse an Fantasy-Themen zu haben, das weit
über das meine hinausging. Ich verschlang zwar zu gerne solche Geschichten und
malte mir auch durchaus aus, wie spannend es wäre, wenn es so etwas tatsächlich
gäbe, aber trotzdem konnte ich gut zwischen Phantasie und Realität
unterscheiden. Was man von dem Besitzer dieser Werke offenbar nicht behaupten
konnte.
Als am
interessantesten entpuppte sich aber schließlich das dritte und letzte Regal.
Der größere Teil seiner Bretter enthielt ebenfalls ein scheinbar wahllos
zusammengewürfeltes Gemisch von Romanen und Sachbüchern, die, so wie es aussah,
schlicht keinen Platz mehr in den anderen beiden Regalen gefunden hatten. Aber
mein Auge blieb an den beiden obersten Regalbrettern hängen, die als einzige
Bücher enthielten, die fast schon übertrieben ordentlich nebeneinander in Reih
und Glied standen und damit deutlich aus dem sie umgebenden Chaos
herausstachen. Allerdings dauerte es ein paar weitere Minuten, bis ich ihre
auffälligste Gemeinsamkeit entdeckte: Sie waren alle von ein und demselben
Autor geschrieben. Raphael Low.
„Mensch, Mike!
Warum hast du mir denn nicht erzählt, dass dein Vater Schriftsteller ist?“
Nach meiner
überraschenden Entdeckung hatte ich die nächsten Stunden damit verbracht, mich
durch die diversen Bücher meines Gastvaters zu blättern, was in mir gemischte
Gefühle geweckt hatte. Einerseits fand ich es toll, im Haus eines echten
Schriftstellers zu leben, und die Themen, über die er schrieb, waren ziemlich
spannend – es ging um alle Arten von mythischen Gestalten und die Frage nach
ihrer möglichen Existenz – aber andererseits verursachte mir die
Ernsthaftigkeit, mit der er diesen Fragen nachzugehen schien, Unbehagen.
Glaubte er wirklich all das Zeug, was er schrieb? Oder ging es ihm nur um die
Verkaufszahlen? Beide Möglichkeiten ließen ihn nicht gerade im besten Licht
erscheinen. Zum Glück war doch noch irgendwann Mike nach unten zurückgekehrt
und ich hatte ihn mit meiner Frage quasi noch auf der Treppe überfallen.
Zunächst sah er so unangenehm berührt aus, dass ich schon fürchtete, er würde
auf dem Absatz umdrehen und wieder verschwinden. Doch dann ging er wortlos die
letzten Stufen herunter und an mir vorbei bis vor das Regal im Wohnzimmer, das
die Werke seines Vaters enthielt.
Längere Zeit
schien er in ihre Betrachtung versunken, so dass ich schon dachte, er hätte
mich vergessen, doch dann drehte er sich plötzlich abrupt zu mir um.
„Wahrscheinlich, weil ich mir die größte Mühe gebe, es selbst zu vergessen.“ Er
zog eine Grimasse. „Ich bin nicht gerade sein größter Fan, weißt du.“
„Warum nicht?“
Wieder schwieg
er eine Weile und schien nach den richtigen Worten zu suchen. „Naja, also – es
ist nicht immer ganz leicht, mit ihm unter einem Dach zu leben.“ Er zeigte auf
die Bücher, dann sah er mich fragend an. „Was hältst du denn davon?“
Was sollte ich
dazu sagen? Offenbar nichts allzu Positives, wenn er selbst sie nicht mochte –
aber natürlich auch nichts Negatives, denn immerhin handelte es sich um seinen
Vater und meinen Gastgeber. Ich entschied mich für das Offensichtliche: „Sind
schon ziemlich… spezielle Themen, über die er so schreibt.“
„Speziellist
genau das richtige Wort.“ Er seufzte. „Ein bisschen zuspeziell für
meinen Geschmack. Wenn er wenigstens nur darüber schreiben würde…“
„Aber?“
„Er ist total
besessen davon!“, brach es plötzlich aus ihm heraus. „Ständig redet er von
diesem Mist, und überall spürt er mysteriöse Wesenheiten .“ Sein Ton
wurde verächtlich. „Kannst du dir vorstellen, wie es ist, so aufzuwachsen? Mit
einem Vater, der sich immer und überall Gespenster sieht?“
„Kann doch ganz
interessant sein“, unternahm ich einen schwachen Versuch, meinen unbekannten
Gastgeber zu verteidigen. Mikes empörtes Schnauben stoppte mich. „Okay,
wahrscheinlich ist es ziemlich nervig“, lenkte ich rasch ein.
„Allerdings.
Extremnervig“, bestätigte er in einem Ton, der keinen Widerspruch
duldete. „Deswegen bin ich immer heilfroh, wenn er unterwegs ist. Dann habe
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