Hinter der Nacht (German Edition)
als
er angekommen war, noch nicht so durchweicht gewesen war.
Irgendetwas
stimmte da nicht. Die Sache begann, wirklich rätselhaft zu werden.
Aber es kam noch
besser. Zu meiner Überraschung stülpte Arik sich jetzt seinen Helm wieder über
die nassen, schwarzen Stoppeln, klappte den Motorradständer hoch und trat dann
kräftig den Anlasser der Maschine durch. Was hatte er vor? Er wollte doch nicht
etwa wieder wegfahren? Jetzt, zehn Minuten vor Beginn des Unterrichts? Und
nachdem er vorhin erst angekommen war? Das ergab überhaupt keinen Sinn! Doch er
schwang sich tatsächlich auf das Bike und brauste dann deutlich schneller, als
er gekommen war, davon.
Die Krönung der
rätselhaften Angelegenheit jedoch erlebte ich ein paar Minuten später. Nachdem
ich nun doch noch gewartet hatte, bis auch Mike angekommen und zur Schule
gegangen war, gab ich meinen Beobachterposten endgültig auf und machte mich auf
den Weg zum morgendlichen Meeting. Ich hatte gerade die Tür zur Eingangshalle
aufgezogen, als mich jemand von hinten anrempelte. Wer auch immer es war, er
schien es eilig zu haben. „Aus dem Weg!“, hörte ich eine raue Stimme knurren.
Ungläubig drehte ich mich um. Es schien unmöglich, doch da stand er, Auge in
Auge mir gegenüber. Arik. Offensichtlich trocken. Und, wie ich nach einem
raschen Blick auf seine Beine zweifelsfrei feststellte, in seiner
vorschriftsmäßigen Schuluniform.
„Bist du
festgewachsen oder was?“, fuhr er mich mit seiner üblichen Freundlichkeit an
und schob mich, als ich noch immer keine Anstalten machte, mich zu bewegen,
kurzerhand zur Seite. Dann quetschte er sich an mir vorbei durch die enge Tür,
wobei seine Haare leicht mein Gesicht streiften. Auch sie waren, mir vollkommen
unerklärlich, knochentrocken.
Böse
Clarissa
Der
Schulvormittag verging viel zu schnell. Letzte Woche um die Mittagszeit hatte
ich mich total auf den vor mir liegenden freien Nachmittag und das Wochenende
gefreut, und es war dann ja tatsächlich ganz – interessant geworden. Diesmal
jedoch graute es mir regelrecht davor, und statt mich den theologischen
Ausführungen unseres eigentlich ganz netten Relilehrers zu widmen, grübelte ich
ununterbrochen darüber nach, wie ich Mike gegenübertreten sollte. Schließlich
entschied ich mich für die Lösung, die ich auch heute Morgen schon gewählt
hatte. Eigentlich gab es ja keinen Grund, nach der Schule direkt nach Hause zu
eilen, wie ich das sonst immer tat. Schließlich war ich niemandem Rechenschaft
schuldig. Als ich mit dem Bus in die Innenstadt fuhr, kam ich mir trotzdem wie
eine Ausreißerin vor. Doch die Sonne schien immer noch, und nach und nach
hellte ihr Strahlen meine trübe Stimmung auf. Mit jeder Haltestelle, an der der
Bus hielt, stieg sie um ein gefühltes Grad, und mit ihr meine Aufregung. Zum
ersten Mal würde ich Schottland allein erobern.
In Kirchdorf war
ich eigentlich ständig für mich gewesen. Am liebsten zu Hause, mit einem
spannenden Buch. In der Gesellschaft von Phantasiegestalten fühlte ich mich nie
einsam. Aber in letzter Zeit war mir diese Zuflucht zunehmend verwehrt worden.
Von ihm . Philipp. Meinem Stiefvater.
Meine Mutter war
sofort hin und weg von ihm gewesen. Philipp hier, Philipp da – Hach, er ist
ja so toll! Du musst ihn kennenlernen, Clarissa! Du wirst begeistert sein! Zum Kotzen! Wozu brauchten wir überhaupt einen Mann? Wir waren
doch bisher auch ganz gut ohne ausgekommen! Männer verursachten nur Ärger,
davon war ich fest überzeugt.
Ich hatte
versucht, sie davon abzuhalten, in ihr Unglück zu rennen und mich da mit
hineinzuziehen, aber sie war gleich hysterisch geworden. „Ich fasse es
nicht, Clarissa, dass du mir das antust! Gönnst du mir nicht das kleinste
bisschen Glück ? Wo ich es doch weiß Gott nicht leicht gehabt habe in
meinem Leben mit den Kerlen! Und dann treffe ich einmal den Richtigen -
und die eigene Tochter missgönnt ihn mir!“
Selten so
gelacht! Haha. Als ob nicht sie es war, die reihenweise den Männern das Herz
brach. Angefangen mit meinem Vater, wenn man ihr Glauben schenkte. Ich selbst
kannte ihn kaum. Meine Eltern hatten sich scheiden lassen, als ich noch ein
Kleinkind war. Ich hatte meinen Vater nicht sonderlich vermisst. Nach den
Erfahrungen mit den stetig wechselnden Männern meiner Mutter war ich froh, wenn
kein Mann im Haus war und ich meine Ruhe hatte. Doch damit war es seit Philipp
vorbei.
Die letzten
Monate waren ziemlich stressig gewesen, weil ich ständig versucht
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