Hinter der Nacht (German Edition)
dicht
nebeneinander saßen, dass sich unsere Seiten fast berührten. Keine Ahnung, ob
ich zu ihm oder er zu mir gerückt war, oder ob wir schon die ganze Zeit so
saßen und ich es nur nicht bemerkt hatte. Es war mir auch ganz egal, solange er
nur so sitzen blieb.
Als die Sonne
langsam über dem See aufging, verwandelte sie die Wasseroberfläche in flüssiges
Gold. Wir hatte uns während der restlichen Nacht kaum bewegt und nur selten
gesprochen, aber ich hatte das Gefühl, mehr mit ihm geteilt zu haben als je mit
einem Menschen zuvor. Seltsamerweise spürte ich keinerlei Müdigkeit, so als
hätte die Energie, die zwischen uns hin und her floss, meine Batterien bis zum
Anschlag aufgefüllt. Gleichzeitig kam mir alles hier wie ein Traum vor, und ich
fürchtete, jeden Moment daraus zu erwachen und mich allein in meinem Bett
wiederzufinden.
Stattdessen
brach Arik den Bann, der uns umfangen gehalten hatte, indem er sich plötzlich
reckte und dann unvermittelt von dem Stein herunter sprang. „Komm, Clarissa!“,
rief er mir zu. Ich schreckte hoch, dann rutschte ich an den Rand und ließ mich
einfach fallen.
Ungeplant
landete ich wieder in seinen Armen. Ein Blitz durchfuhr mich vom Kopf bis zu
den Zehenspitzen, als hätte ich eine Starkstromleitung berührt. Arik erstarrte,
dann ließ er mich schlagartig los, drehte er sich abrupt um und stapfte ans
Ufer. Dort setzte er sich wortlos hin und zog seine Schuhe an, die gar nicht
weit entfernt von meinen gestanden hatten, wie ich jetzt in der Morgensonne
sah. Nachdem ich meine Fassung einigermaßen wiedergewonnen hatte, folgte ich
seinem Beispiel. Dann ging er in Richtung Wald davon, ich hinter ihm her. Doch
kurz bevor wir zwischen den Bäumen verschwanden, warf ich noch einmal einen
Blick zurück auf den großen Findling im See. Dieser Ort würde auch für mich
immer etwas ganz Besonderes sein – falls ich ihn jemals wiederfand.
Die Rückfahrt
dauerte etwa eine Stunde, wie mir mein Kontrollblick auf die Uhr bewies, was es
mir umso unerklärlicher machte, warum wir auf dem Hinweg erst bei Einbruch der
Dämmerung angekommen waren. Passend zur Frühstückszeit setzte Arik mich in der Viewlands
Terrace ab. Mit einem ultrakurzen Winken verabschiedete er sich dann
wortlos von mir und brauste mit seinem Motorrad die Straße hinunter.
Erst, als ich
ihn nicht mehr sah, kramte ich meinen Schlüssel hervor und öffnete die Haustür.
Ich ging direkt in mein Zimmer und ließ mich auf mein Bett fallen. Auf einmal
sank die Müdigkeit bleischwer auf mich nieder. So, als hätte nur Ariks Nähe sie
ferngehalten.
Ich schlief bis
zum frühen Nachmittag, dann erwachte ich mit einem Ruck. Zunächst wusste ich
nicht, wo ich war, doch nachdem sich der Nebel in meinem Kopf gelichtet hatte,
war schlagartig alles wieder da. Und mit der Erinnerung kamen die Fragen.
Fragen, die sich in den letzten Wochen zunächst leise, dann immer lauter angeschlichen
hatten und die mittlerweile unüberhörbar geworden waren.
Erkenntnis
Clarissa
„ Good morning, everybody. Auf zum ersten Endspurt in
diesem Schuljahr – noch eine Woche bis zu den Herbstferien!“ Lautes Gejohle und
Applaus belohnten diese Begrüßung am Montag bei der morgendlichen Versammlung.
Nur ich konnte den allgemeinen Jubel nicht teilen. Herbstferien! Daran hatte
ich ja überhaupt noch nicht gedacht! Das war mir auch noch nie passiert.
Die Woche bis zu
den Ferien verging schneller, als mir lieb war. Zu meiner allergrößten
Enttäuschung sah ich Arik nur ein einziges Mal, und auch dann nur aus der
Ferne, auf dem Weg vom Parkplatz zur Schule.
Ich war wie
üblich mit Mike unterwegs. Als Arik ihn sah, verfinsterte sich sein Gesicht
schlagartig. Seine Abneigung gegen Mike fing an, mich ehrlich zu nerven.
Außerdem verstand ich sie einfach nicht. Wenn es wenigstens Eifersucht gewesen
wäre. Aber das konnte ja wohl kaum die Ursache sein, denn offenbar machte er
sich ja rein gar nichts aus mir. Erst nahm er mich mit zu seinem Lieblingsplatz
am See, wo wir uns für mein Gefühl schon ziemlich nah gekommen waren – und
jetzt ließ er mich wieder links liegen. Als sei ich Luft für ihn.
Als ich ihn
jetzt sah, war ich entschlossen, ihn zur Rede zu stellen, aber kaum bemerkte
er, dass ich auf ihn zusteuerte, änderte er die Richtung und verdoppelte seine
Geschwindigkeit, so dass ich schon hätte rennen müssen, um ihn einzuholen.
Kurzfristig zog ich zwar selbst das in Erwägung, aber dann bezweifelte ich,
dass er sich einholen
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