Hinter der Nacht (German Edition)
lassen. Aber ich werde nicht allein untergehen.
Clarissa
Wie lange ich so
wie erstarrt da gestanden hatte, wusste ich nicht. Doch irgendwann nahm ich
eine Veränderung wahr, ohne zunächst sagen zu können, was es war. Ich strengte
all meine Sinne an, um herauszufinden, woher dieses Gefühl kam, doch es dauerte
eine ganze Weile, bis ich endlich darauf kam: Da war ein Geräusch, das vorher
nicht dagewesen war. Ein Plätschern. Und auf einmal wusste ich, wo ich Arik
finden würde.
Entdeckung
Clarissa
Nachdem mein
Denkvermögen langsam wieder einsetzte, gewann meine Umgebung an Klarheit und
ich atmete erleichtert auf, als ich im Dunkeln wieder die Umrisse des Findlings
ausmachte.
Ich atmete noch
einmal tief durch, dann watete ich durch das eisige Wasser zurück bis zu dem
Felsbrocken.
„Arik?“,
flüsterte ich mit bebender Stimme. „Bist du da?“ Nichts regte sich, und meine
Zuversicht geriet wieder ins Wanken. Hatte ich mich doch geirrt? „Arik?“
Er gab immer
noch keine Antwort, doch plötzlich sah ich, wie sich auf dem Stein etwas
bewegte. Ein fast unhörbares Seufzen ertönte. Dann ahnte ich mehr als ich sah,
wie sich mir eine Hand entgegenstreckte. Ohne zu zögern ergriff ich sie,
ignorierte den Stromschlag, stemmte meinen linken Fuß gegen den Felsen und
stieß mich mit dem rechten ab. Ein Ruck, ein heftiger Schmerz, als mein Knie
gegen den Stein schrappte, und dann war ich oben. Arik gab meine Hand sofort
wieder frei, und ich ertastete mir eine einigermaßen ebene Sitzfläche, auf der
ich mich vorsichtig niederließ.
Minutenlang
sagte keiner von uns ein Wort. In mir tobte ein Sturm von Gefühlen. Ich hätte
wütend sein müssen, ich weiß, und ich versuchte es auch. Aber es ging einfach
nicht. Und schließlich konnte ich mich einfach nicht mehr zurückhalten. Sollte
er doch von mir denken, was er wollte. „Arik.“
Plötzlich war
die Stille um uns herum überwältigend.
„Ich…“ Wieder
stockte ich. Doch dann brach es aus mir hervor: „Bitte, mach das nie wieder.
Lass mich nie wieder allein. Ich halte das nicht aus.“
Er antwortete
nicht, doch auf einmal spürte ich, wie seine Finger meine Hand ergriffen. Ich
erstarrte. Mein Herz klopfte plötzlich zum Zerspringen. Sein Händedruck fühlte
sich so unglaublich gut an.
„Weißt du
überhaupt, was das heißt?“
Beim Klang
seiner heiseren Stimme fuhr ich zusammen, und unsere Hände rutschten
auseinander. Sofort wurde es unerträglich dunkel und kalt. Am liebsten hätte
ich ihn gleich wieder angefasst, aber ich traute mich nicht.
„Clarissa?“
Ich musste
schlucken. Verdammt, jetzt bloß nicht losheulen. „Was?“
„Allein sein?
Woher willst du wissen, was das heißt?“ Er klang bitter.
Ohne
nachzudenken, entgegnete ich: „Weil ich - anders bin.“
„Wieso?“
„Ich sehe anders
aus. Ich denke anders. Das reicht doch, oder?“
„Für mich
schon“, sagte er. Und dann umfasste er mein Gesicht mit beiden Händen und
küsste mich. Nicht zärtlich und vorsichtig, wie ich mir meinen ersten Kuss
immer vorgestellt hatte, sondern wild und verzweifelt wie ein Ertrinkender.
Arik
Nein, nein,
NEIN! Das darf ich nicht! Das ist FALSCH! Doch der Mensch in mir, dieses
schwache, selbstsüchtige, triebgesteuerte Geschöpf, ist stärker. Ich kann
einfach nicht anders. Und dann will ich es auch nicht mehr.
Clarissa
Er ließ mich so
plötzlich los, wie er mich gepackt hatte. Diesmal war ich es, die seine Hand
ergriff und sich wie eine Ertrinkende daran festklammerte. Einen panischen
Moment lang fühlte es sich an, als wollte er sich losreißen, doch dann atmete
er tief aus und griff ebenfalls fest zu. Die Wirkung, die das auf mich hatte,
war unbeschreiblich. Ich schwebte in einer anderen Dimension.
Wieder sprach er
ohne Vorwarnung, aber diesmal ließ ich ihn nicht los.
„Ich verstehe
das einfach nicht. Was haben die Menschen nur an sich, das sie so besonders
macht?“ Seine Stimme klang genauso verzweifelt wie sein Kuss sich angefühlt
hatte. Ich verstand kein Wort. Aber zum Glück schien er auch keine Antwort zu
erwarten.
Erst nach
einiger Zeit fand ich meine Stimme wieder, wenn auch nur mühsam. „Was hast du
gegen die Menschen?“
„Alles!“, stieß
er zwischen den Zähnen hervor. Dann knurrte er: „Ich frage mich wirklich, wofür
Gott euch erschaffen hat!“
Seine Entgegnung
traf mich völlig unvorbereitet. „Uns? Wen meinst du?“
„Die Menschen“,
präzisierte er anklagend.
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